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AutorenbildIngo

Vater unser

In meinem letzten Blog hatte ich einen Halbsatz aus dem "Vater unser" zitiert. Vielleicht haben sich aus diesem Grund, in den letzten Wochen, meine Gedanken mit dem Gebet beschäftigt. Es kam immer wieder in meinen Sinn und wurde immer stärker. Heute möchte ich euch meine Erfahrungen und Erkenntnisse mit dem und zum "Vater unser" berichten.

Foto von Anna Shvets auf Pexels



Das Gebet


In einem Moment der Unruhe suchte ich Besinnung. Am Ende des Tages lag ich im Bett und fand keinen Schlaf. Wie konnte ich die vielen Gedanken des Tages bzw. von Wochen zurückdrängen und abschalten? Mir fiel das Gebet aus der Jugend ein, das ich im Konfirmandenunterricht auswendig lernen mussten. Es lautet so.

Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. (Matthäus 6,9-13)

Es funktionierte. Ich sprach es mehrmals aus und die Worte schenkten mir Ruhe. Meine Gedanken blieben an einer Aussage hängen und ich spürte Gelassenheit und Erleichterung. Die Last der vielen Themen war einen Moment weg und ich schlief ein.

So ging es los. Irgendwann suchte ich den Text in der Bibel. Er ist im Matthäus Evangelium zu finden. Auch im Lukas Evangelium wird davon berichtet, wie Jesus seinen Jünger auf die Frage, "lehre uns beten", antwortet.

Meine Worte aus der Jugend stammen aus der Lutherbibel. Sie ist sehr verbreitet und wird im evangelischen Gottesdienst, glaube ich, jedes Mal gemeinsam mit der Gemeinde gebetet.

Gibt es denn große Unterschiede in den verschiedenen Übersetzungen?

Was steht in der Hoffnung für alle Bibel?

Unser Vater im Himmel! Dein heiliger Name soll geehrt werden. Lass dein Reich kommen. Dein Wille geschehe hier auf der Erde, so wie er im Himmel geschieht. Gib uns auch heute, was wir zum Leben brauchen, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Lass uns nicht in Versuchung geraten, dir untreu zu werden, sondern befreie uns von dem Bösen. (Matthäus 6,9-13)

Hier werden manchmal Worte in der Reihenfolge umgestellt oder auch andere Worte genutzt. Der Sinn ist jedoch immer noch gleich. Allerdings fehlt hier der Schlusssatz aus der vorigen Lutherbibel.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. (Matthäus 6,13)

In der Erklärung des ERF Bibelservers steht dieser Satz dazu.

Dieser Abschluss ist in den ältesten Handschriften nicht enthalten.

Ok. Scheinbar wurde er später hinzugefügt. Bei Lukas steht er übrigens auch nicht. Ich finde er rundet das Gebet Jesu sehr schön ab, indem er den Anfangsgedanken noch einmal aufnimmt. Bringt allerdings auch keinen neuen Punkt hinzu. Deshalb werde ich ihn hier auch nicht weiter behandeln.


Wie übersetzt die Elberfelder Bibel das Vater unser?

Unser Vater, der ⟨du bist⟩ in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben; und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns von dem Bösen! Matthäus 6,9-10)

Auch diese Bibelübersetzung gibt den Schluss nur in einer Fußnote bekannt. Im Text wird er nicht abgedruckt.

Besonders ist hier der Satzteil:

und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben;

Scheinbar ist das hier die wörtliche Übersetzung. Sie geht davon aus, dass die Betenden ihrem Schuldner schon vergeben haben. Interessant.



Lehre uns beten - Das Vorbild


Allgemein möchte ich sagen, dass Jesus mit dem "Vater unser" seinen Jüngern und seinen Nachfolger*innen ein vorbildliches Gebet an die Hand gibt.

Zuerst spricht er Gott an und bringt ihm besondere Wertschätzung entgegen. Er spricht von dem gemeinsamen Ziel, das von Gott kommt und Gott durchsetzen wird. Er bittet für die Wegnahme der Sorgen. Er nennt den Gnadenakt als Weg zum Erreichen des Ziels. Und er ruft dazu auf, in Beziehung zu bleiben und den Weg zum Ziel gemeinsam zu gehen.

So gesehen ist dieses Gebet wirklich eine wunderbare Blaupause für jedes Gebet, das ein gläubiger Mensch sprechen möchte. Ein vollkommenes Vorbild.


Die Gefahr dieser Vorlage besteht darin, dass es auswendig gelernt wird und beim Aufsagen nur noch heruntergeleiert wird. Es kommt dann ohne Inhalt rüber. Und dies ist genau dass, was Jesus nicht wollte. Ein paar Sätze bevor er den Jüngern sein Gebet lehrt, steht diese Aussage von ihm:

Leiere nicht gedankenlos Gebete herunter wie Leute, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie würden bei Gott etwas erreichen, wenn sie nur viele Worte machen. (Matthäus 6,7)

Also wenn ich das Gebet schon nachspreche, soll ich jedes Wort wirken lassen und in meinen Gedanken aufnehmen. Erst dann besteht die berechtigte Chance, dass ich meine eigenen, persönlichen Gebetsthemen finde und erkenne. Diese kann ich dann im freien Gespräch mit Gott vertiefen.



Punkt für Punkt


Nun möchte ich auf ein paar Worte näher eingehen, die im Gebet genutzt werden.

Mir fällt besonders auf, dass das Wort "uns" mit Abstand am häufigsten genutzt wird.

Dies hat vielleicht zur Gewohnheit geführt, dieses Gebet in den Gottesdiensten gemeinsam zu beten. Allerdings spricht ein weiterer Satz Jesu gegen diese Gewohnheit.

Wenn du beten willst, zieh dich zurück in dein Zimmer, schließ die Tür hinter dir zu und bete zu deinem Vater. Denn er ist auch da, wo niemand zuschaut. Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird dich dafür belohnen. (Matthäus 6,6)

Deshalb schlage ich folgenden Gedanken vor.

Mit "uns" spricht Jesus von sich und von seinen Nachfolger*innen. Wenn ich also bete, kann ich mir vorstellen, dass Jesus und ich zusammen beten und wir gemeinsam das "uns" darstellen.

So komme ich zum Wort "Vater". Durch Jesu Leben kann ich Gott "Vater" nennen. Jesus hat uns Gott als seinen und unseren "Vater" vorgestellt. Ich darf mich als Kind Gottes wahrnehmen und so die vertrauensvolle Beziehung mit Gott dem Vater erleben.

Das "Reich" steht für eine Gemeinschaft ohne Unterschiede. In diesem Sinne können wir auch den auferstandenen Jesus als Christus zur rechten Gottes im Himmel sehen. Durch sein Überwinden des Todes ist er Gott gleich geworden. Und dieser Jesus hat das Kommen des Reiches Gottes auf Erden angekündigt. In dieser Erwartung lebe ich als Nachfolger Christi.

Dass der "Wille" auch auf Erden geschehe, ist erst bedingt wahr geworden. Wenn ich an das Vorgehen eines Putin denke, kann ich nicht glauben, dass darin der "Wille" Gottes durchgesetzt wird. Soviel Ungleichheit, Lügen, Ungerechtigkeit, Gewalt und Tod. Das ist das Gegenteil vom "Willen" Gottes. Auf der anderen Seite kann sich die Menschheit durch die Machenschaften Putins und die Veränderungen, die dadurch entstehen, einen Schritt weiter zum "Reich" Gottes hinbewegen. So kann vielleicht sogar bei einem solchen Extrem von der Verwirklichung des "Willen Gottes" die Rede sein.

In vielen Übersetzungen wird von dem "Brot" gesprochen. Die Hoffnung für alle Bibel spricht hier von den Dingen, die wir zum Leben brauchen. Das kann in diesen Zeiten Energie sein. Strom und Gas sind plötzlich knapp und teuer geworden. Ich kann Gott darum bitten, dass es in ausreichender Menge zur Verfügung steht.

Gleich im Anschluss wird von "vergeben" gesprochen. Vergebung ist notwendig, um das unendliche Leben, das Leben nach dem Tod, zu erreichen. Ohne "vergeben" wird es kein Reich Gottes auf Erden geben. Dieses "Vergeben" kann durch mich und uns schon jetzt stattfinden und gelebt werden. Wie ich in meinem vorigen Blog berichtet habe, fällt mir das "Vergeben" nicht leicht. Es ist wohl die größte Herausforderung, die dieses Gebet an mich stellt. Wenn ich mir allerdings vorstelle, wie mein Schuldner auch genau diese Worte betet, dann nähere ich mich ihm an. Er ist genau wie ich auf Gottes Gnade/Vergebung angewiesen. Das Wissen und der Glaube daran, dass Gott "vergeben" wird und schon "vergeben" hat, verbindet uns.

Und so bin ich bei dem Wort "Versuchung". Gott führt nicht in "Versuchung". Er kann uns allerdings davor bewahren. Was ist mit "Versuchung" gemeint? Ich kann den Lösungsweg der Gnade/Vergebung verlassen und so die Beziehung zu Gott aufgeben. Das kann z. B. so aussehen. Ich kann auf meine Stärke setzen oder einen anderen Lösungsweg verfolgen, der auf die Verhinderung meiner Schuld baut oder ich kann mir sagen, dass das Leben zwischen Geburt und Tod stattfindet. Davor und danach ist nichts.



Beten


Durch diese wunderbare Gebetsvorlage ist jeder in der Lage ein Gebet an Gott, den Vater, zu richten.


Zum Schluss möchte ich noch eine Erfahrung mit euch teilen.

Um selbst noch mehr über das "Vater unser" herauszubekommen, habe ich auch versucht, das Gebet in eine Meditation einzubauen. So habe ich den Text genommen und mit jedem Einatmen und Ausatmen jeweils eine Silbe gesprochen. Auf diese Weise werden die Sinne und Gedanken auf das Atmen und die Worte gelenkt. Das Gedankenkarussell stoppt und Ruhe kehrt ein.

Zur Verdeutlichung hier nochmal der Gebetstext mit Silbentrennung.

< steht für einatmen; > steht für ausatmen


<Un->ser <Va->ter <im >Him-<mel!

>Dein <hei->li-<ger >Na-<me >soll <ge- >ehrt <wer->den.

<Lass >dein <Reich >kom-<men.

>Dein <Wil- >le <ge- >sche- <he >hier <auf >der <Er- >de,

<so >wie <er >im <Him- >mel <ge- >schieht.

<Gib >uns <auch >heu-<te, >was <wir >zum <Le->ben <brau->chen,

<und >ver <gib >uns <un->se-<re >Schuld,

<wie >auch <wir >de-<nen >ver-<ge->ben,

<die >an <uns >schul-<dig >ge-<wor->den <sind.

>Lass <uns >nicht <in >Ver-<su->chung <ge- >ra-<ten,

>dir <un->treu <zu >wer-<den,

>son-<dern >be-<frei->e <uns >von <dem >Bö-<sen.

(Matthäus 6,9-13)



In diesem Sinne, wünsche ich dir Momente des zu sich kommens.


Ingo



Anmerkungen und Fragen könnt ihr gern als Kommentar eintragen.

Oder gern auch direkt an mich:


Die Bibelzitate sind der Übersetzung Hoffnung für alle® entnommen, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica. Inc.® Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis-Verlag Basel.

Ingo Tauchert

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