Vor etwas über einer Woche war ich zum letzten Mal in meinem Elternhaus - zur Schlüsselübergabe an die nächste Familie, deren Kinder in diesem Haus aufwachsen werden. Zugegebenermaßen ist das ein oder andere Tränchen geflossen als ich eine letzte Runde durch die leeren Räume gedreht habe.
Bevor ich vor sieben Jahren bei meinen Eltern ausgezogen bin, war dieses Haus das einzige Zuhause, das ich kannte. Ich hatte den Luxus, meine gesamte Kindheit und Jugend an diesem einen Ort verbracht zu haben und in dieser langen Zeit haben sich eine ganze Menge Erinnerungen angesammelt, die ich mit diesem Ort verbinde: Von der Einrichtung meines ersten Kinderzimmers, in dem immer noch die Klebepunkte von dem Sternenhimmel über meinem Bett an der Dachschräge kleben. Über die Löcher in der Wand im Flur, an der für kurze Zeit eine Dartscheibe hing, die vor allem von meinen Dartpfeilen immer wieder verfehlt wurde. Bis hin zur Schaukel im Garten, die schon vor Ewigkeiten abgebaut wurde, die ich aber immer noch genau vor Augen habe.
Es ist ein komisches Gefühl, jetzt nicht mehr „nach Hause“ fahren zu können. Vor allem, da es für mich immer ein Rückzugsort war, insbesondere seitdem ich ausgezogen bin. Zu meinen Eltern in die Heimat zu fahren war immer wie eine kleine Auszeit von dem Alltagsstress, der in meinem jeweils aktuellen Zuhause auf mich wartete. Jetzt gibt es diesen Rückzugsort nicht mehr – zumindest nicht in dieser Form.
In dieser Woche nach der Schlüsselübergabe habe ich daher viel darüber nachgedacht, was unsere Heimat eigentlich für uns bedeutet und warum es für uns so eine große Wichtigkeit hat, wo wir aufgewachsen sind.
„Ich komm‘ aus …“
Trifft man andere Menschen zum ersten Mal, ist die Frage, woher man kommt, oft eine der ersten Fragen, die man gestellt bekommt. Je nachdem mit wem man spricht, kann die Antwort unterschiedlich genau ausfallen und die Frage unterschiedlich begründet sein.
Erst vor Kurzem war ich auf einer internationalen Gemeindefreizeit und wurde von einigen englischsprachigen Geschwistern gefragt, wo ich eigentlich herkomme, da sie meinen Akzent nicht direkt einordnen konnten. Die erste Antwort war also an dieser Stelle „Ich komme aus Deutschland“.
In einem Gespräch mit einem Deutschen wäre meine Antwort wahrscheinlich schon etwas genauer. Braunschweig ist als Stadt groß genug, um den meisten Menschen ein Begriff zu sein. Trotzdem füge ich gerne hinzu, dass ich zwar in Braunschweig wohne, aber eigentlich aus der Nähe des Ruhrgebiets komme. Da meine Heimatstadt weniger groß und somit weniger Menschen bekannt ist, ist die Antwort auf die Frage, wo ich herkomme, meistens „aus der Nähe von Dortmund“. Damit kann ich mich eher identifizieren, als eine „Norddeutsche“ zu sein. Aber warum eigentlich?
Je länger man darüber nachdenkt, desto unsinniger kommt es einem vor, dass das Land oder die Stadt aus der wir kommen, so eine wichtige Information ist, wo sie doch vermeintlich wenig über uns aussagt.
Und doch kreisen zu allen Ländern und Regionen haufenweise Stereotype und Vorurteile umher, die man den Menschen gerne zuweist, die aus dieser Gegend kommen. Bei Deutschen wäre es wohl die Regelverliebtheit, die hohe Bedeutung von Pünktlichkeit oder dass es bei uns sprichwörtlich kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung gibt.
Versucht man innerhalb Deutschlands weiter zu differenzieren, begegnen einem genauso viele Vorurteile gegenüber Norddeutschen, Menschen aus dem Ruhrgebiet, Schwaben, Bayern usw. Und egal wie sehr man sich vielleicht dagegen wehren möchte: Viele dieser Vorurteile beruhen auf der Wahrheit.
Abgesehen von den Vorurteilen über unsere Heimat, die mehr oder weniger auf uns zutreffen können, gibt es natürlich noch ganz andere Merkmale, über die man uns als „von da und da“ identifizieren kann. Dazu gehören Sprache, insbesondere auch der Dialekt (oder bei perfektem Hochdeutsch die Dialektfreiheit), aber uns verraten auch ganz andere Dinge.
Als Nahezu-Ruhrgebietlerin würde ich zum Beispiel nie sagen, dass Maultaschen ein typisch deutsches Essen sind, egal wie oft meine schwäbischen Freunde ihre Teigtaschen auch als Nationalgericht ausgeben wollen. Auch Dinge wie Kleidungsstil, Angewohnheiten in Gesten und Ausdrucksweise etc. unterliegen oft kulturellen Unterschieden.
Aber worauf möchte ich mit all diesen Gedanken eigentlich hinaus?
Wohin ich gehöre
„Denn unser Bürgerrecht ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Retter erwarten“ (Philipper 3,20)
Gemäß den Worten von Paulus bin ich allem voran Christin, nicht Braunschweigerin oder Iserlohnerin oder Deutsche. Mein Bürgerrecht, meine Staatszugehörigkeit weist mich als jemanden aus, der zu Christus gehört. Aber worin zeigt sich das?
Wie ich oben beschrieben habe, ist es leicht, mich anhand verschiedener Merkmale meiner Nationalität und sogar meiner Heimatregion zuzuordnen. Welche Sprache spreche ich? Welchen Dialekt habe ich? Was für Werte vertrete ich? Was halte ich für höflich oder unhöflich?
Doch kann man mich genauso leicht als Christin identifizieren? Merken Menschen anhand meiner Worte, anhand meiner Taten und meiner Werte, dass ich zu Christus gehöre? Optimalerweise sollten sie das, jedoch könnte ich nicht mit Sicherheit behaupten, dass dies immer der Fall ist.
Genauso kann ich mir in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob ich anderen Menschen mit der gleichen Selbstverständlichkeit davon erzähle, Christin zu sein, mit der ich ihnen auch erzähle, aus welcher Stadt ich komme. Dabei erzählt der Fakt, dass ich versuche, Christus nachzufolgen um einiges mehr über mich als der Fakt, wo ich aufgewachsen bin.
Denkt man das Bild weiter, dann stellt meine Gemeinde genauso ein Zuhause für mich dar, wie mein Elternhaus es lange Zeit für mich war. Aber fühle ich mich tatsächlich zuhause in meiner Gemeinde? Ist meine Gemeinde ein Rückzugsort für mich, ein Ort wo ich neue Kraft schöpfen kann für meinen Alltag? Sollte dies nicht der Fall sein, was müsste sich verändern, damit meine Gemeinde genau dieses Zuhause für mich sein kann?
Zugegeben sind das viele Fragen für einen einzelnen Beitrag und beantworten kann sie am Ende jeder nur für sich persönlich, aber ich möchte euch heute ermutigen, euch genau diese Fragen in dieser Woche zu stellen.
Ich für meinen Teil möchte versuchen, noch offener damit umzugehen, Christin zu sein. Ich gehöre zu Christus. Das darf jeder wissen. Das sollte jeder sehen.
Oder um es mit den Worten von Petrus zu sagen:
„Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1. Petrus 2,9)
Bis zum nächsten Mal!
Eure Lea
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