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  • AutorenbildLea

Ohne Ausnahme

Heute möchte ich ein paar Gedanken zu einem der kürzesten Bücher der Bibel mit euch teilen: Philemon. Die gerade einmal 25 Verse scheinen auf den ersten Blick eine simple Botschaft zu enthalten. Doch ich denke, bei näherer Betrachtung kann dieser kurze Brief für uns eine ziemlich große Herausforderung darstellen.


Der Inhalt des Briefes lässt sich im Grunde schnell zusammenfassen: Paulus bittet Philemon darum, Onesimus wieder bei sich aufzunehmen. Onesimus war offenbar einer der Sklaven von Philemon und hatte ihm in der Vergangenheit Unrecht getan. Was genau zwischen den beiden vorgefallen ist, wird nicht weiter erläutert.


Ein Interpretationsvorschlag, den ich schon öfters gehört habe, ist, dass Onesimus etwas von Philemon gestohlen haben könnte. Begründet wird diese Auslegung mit dem Hinweis von Paulus in den Versen 18 und 19, dass er den entstandenen Schaden erstatten würde.


Unabhängig davon, was genau zwischen Philemon und Onesimus vorgefallen ist, es scheint keine gute Basis für die Rückkehr von Onesimus vorzuliegen. Doch Paulus Bitte bezieht sich nicht nur darauf, dass Philemon Onesimus wieder als Sklaven einstellen soll. Nein, Paulus bittet ihn darum, den in der Zwischenzeit zum Glauben gekommenen Onesimus als Bruder aufzunehmen.


Für die damalige Zeit sicherlich eine ungeheure Vorstellung. Sklaven standen nicht nur am Rande der Gesellschaft – im Grunde waren sie nicht einmal Teil der Gesellschaft. Und doch bittet Paulus Philemon den Menschen, den er nur als Sklaven kennt, jetzt als Bruder anzusehen und ihn entsprechend zu behandeln.




Gar nicht so leicht


Auch wenn man das Ganze in die heutige Zeit überträgt, scheint die Bitte von Paulus nicht gerade leicht umzusetzen zu sein. Wie würden wir uns fühlen, wenn wir einen solchen Brief von Paulus erhalten würden? Wie würden wir handeln?


In der Theorie scheint die Lage glasklar zu sein. Im Galaterbrief lesen wir:

„Da ist nicht Jude, noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. Wenn ihr aber des Christus seid, so seid ihr damit Abrahams Nachkommenschaft und nach der Verheißung Erben.“ (Galater 3,28+29)

Aber wie leicht fällt es uns, diese Unterschiede tatsächlich hinter uns zu lassen? Wie leicht fällt es uns, Menschen in unserer Mitte aufzunehmen, die sonst am Rande der Gesellschaft stehen? Haben wir überhaupt Kontakt zu ihnen?


Doch die gesellschaftlichen Zwänge stellen nicht die einzige Hürde im Brief an Philemon dar. Onesimus ist nicht irgendein Fremder, der nun als Gläubiger den Kontakt zur Gemeinde sucht. Philemon und Onesimus haben eine gemeinsame Vergangenheit. Sie kennen sich schon aus einem anderen Kontext und haben keine guten Erfahrungen miteinander gemacht. Und auf einmal stehen sie sich als Brüder gegenüber.


Wie würden wir uns damit fühlen? Könnten wir jemanden in Liebe in der Gemeinde aufnehmen, mit dem wir keine guten Erinnerungen verbinden? Menschen, die uns belogen, betrogen oder auf irgendeine andere Art verletzt haben. Den Klassenkameraden, der uns in der Schule gemobbt hat. Den Kollegen, der uns um die Beförderung gebracht hat und nicht müde geworden ist, uns das unter die Nase zu reiben. Die streitlustigen Verwandten, die niemand mehr zu seinem Geburtstag einladen möchte.


Vielleicht fällt euch die ein oder andere Person ein, auf die eine der Beschreibungen passt. Und vielleicht stellt ihr erleichtert fest, dass diese Person gar kein Interesse am Glauben hat. Nicht jeder Mensch am Rande der Gesellschaft, nicht jeder Mensch, der uns Unrecht getan hat, möchte auf einmal Teil unserer Gemeinde werden oder ist überhaupt gläubig. Also „Glück gehabt“?


Natürlich ist es eher unwahrscheinlich, dass wir uns einmal in derselben Situation wiederfinden wie Philemon. Die Auseinandersetzung damit, wen wir an der Tür zu unserer Gemeinde dankbar empfangen und wem wir mit mehr Argwohn gegenübertreten, bleibt oft nur theoretisch. Am Ende auch aus dem Grund, dass nicht viele Menschen aus dem Nichts vor unserer Tür stehen und Teil der Gemeinde werden wollen.


Doch die Frage ist glaube ich nicht nur, ob wir jemanden wie Onesimus aufnehmen würden, wenn er bei uns vor der Tür steht. Wir müssen uns genauso fragen, ob wir überhaupt ein ehrliches Interesse daran haben, ob diese Person zum Glauben kommt.


Wollen wir wirklich das Evangelium mit allen teilen? Oder gibt es Menschen, die uns nicht geheuer oder gesellschaftlich nicht akzeptiert sind oder die wir einfach nicht mögen, bei denen dieses Bedürfnis nicht ganz so groß ist? Gibt es Menschen, bei denen uns der Gedanke, dass sie vielleicht nicht im Königreich sein werden, nicht so viel ausmacht?



Ohne Ausnahme


Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, fallen mir Menschen ein, bei denen mein Wunsch, sie im Königreich zu wissen, nicht so groß ist wie bei anderen. Und das Gefälle ist größer als es sein sollte.


Doch im Gegensatz zu mir möchte Gott jeden retten. Das ist sein Wunsch für jeden einzelnen Menschen. Natürlich wird dieser Wunsch nicht von jedem Menschen erwidert, aber ginge es nach Gott, würde niemand verloren gehen.

„Dies ist gut und angenehm vor unserem Retter-Gott, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1. Timotheus 2,3+4)
„Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das Irrende? Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, ich sage euch, er freut sich mehr über dieses als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind. So ist es nicht der Wille von eurem Vater, der in den Himmeln ist, dass eines dieser Kleinen verloren geht.“ (Matthäus 18,12–14)

Gott hat diese vollkommene Liebe für die Menschen. Allein durch diese Liebe kann ich meine jetzigen Geschwister überhaupt meine Geschwister nennen. Denn jeder einzelne von uns war einmal ein Sklave wie Onesimus, den Gott aufgenommen hat, ganz egal wie fehlerhaft wir waren. Er hat uns mit genau dieser Liebe geliebt, die ihn dazu bringt, jeden Menschen retten zu wollen. Ohne Ausnahme.

„Wie der Vater mich geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! […] Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. Größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, denn der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe. Ihr habt nicht mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt […].“ (Johannes 15,9-16)

Also lasst uns versuchen, diese vollkommene Liebe, die Gott und Jesus uns gegenüber haben, mit den Menschen um uns herum zu teilen, auch wenn es schwerfällt. Lasst uns nicht vergessen, dass Gott jeden retten möchte. Jeden Bruder und jede Schwester in unserer Gemeinde und alle Menschen, die (noch) kein Bruder und (noch) keine Schwester sind. Alle. Ohne Ausnahme.



Bis zum nächsten Mal!

Eure Lea

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