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Nur ein Wort!

Autorenbild: PeterPeter

Am heutigen Montag hat der Bibelleseplan unserer Gemeinde als Abschnitt aus dem Neuen Testament die Kapitel 15 und 16 aus dem Johannesevangelium auf der Liste. Da ich eh auf der Suche nach einem Thema war, bietet es sich immer wieder an, einfach mal zu sehen, was einem da im Leseplan so entgegen kommt.


Am Anfang von Johannes 15 stellt sich Jesus seinen Jüngern als der wahre Weinstock vor. Zurzeit bereite ich mich auch gerade auf unser Bibelstudienwochenende am nächsten Wochenende vor. Dort wird es darum gehen, wie wir die Bibel verstehen und benutzen. In diesem Kontext sprang mir – wie sollte es anders sein – gleich im 2. Vers von Johannes 15 ein Wort wieder ins Auge, mit dem ich mich vor längerer Zeit schon einmal ausführlich beschäftigt habe. Dazu aber mehr am Schluss des Beitrages.


Zunächst möchte ich an zwei anderen Beispielen aus dem Neuen Testament einmal zeigen, wie sehr eine jede Bibelübersetzung immer auch eine Interpretation des Urtextes ist, denn leider kann man unmöglich einfach Wort für Wort Eins zu Eins von einer Sprache in die andere übertragen. Fast immer gibt es für ein Wort mehrere Entsprechungen in der anderen Sprache. So ist jeder Übersetzer gezwungen, bei der Übertragung darüber nachzudenken, welche Aussage der ursprüngliche Schreiber wohl beabsichtigt hat. Dabei muss man beachten, dass ebenso wenig, wie es eine objektive Wahrnehmung gibt, auch jede Übersetzung immer vor dem Erfahrungshintergrund und Verständnis des Übersetzers stattfindet. Mitunter führt das dann allerdings leider auch in eine falsche Richtung.


Mein erstes Beispiel beruht auf dem Umstand, dass offensichtlich im griechischen Urtext keine Satzzeichen vorhanden sind, so dass Sinnzusammenhänge bei der Übersetzung mitgedacht und berücksichtigt werden müssen. Das scheint manchmal gerade bei den Briefen des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth durch. In unserer Bibel sind diese beiden Briefe als der 1. und der 2. Korintherbrief betitelt. Man kann aber beim Lesen feststellen, dass es sich eigentlich wohl eher um den 2. und 4. Brief des Paulus handelt.


Im 1. Korintherbrief nimmt Paulus Bezug auf einen Brief, den er zuvor geschrieben hat:

"Ich habe euch in dem Brief geschrieben, nicht mit Unzüchtigen Umgang zu haben; nicht überhaupt mit den Unzüchtigen dieser Welt oder den Habsüchtigen und Räubern oder Götzendienern, sonst müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen. Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Unzüchtiger ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen." (1. Korinther 5,9)

Auch im 2. Korintherbrief nimmt Paulus Bezug auf einen zuvor geschriebenen Brief, wobei offensichtlich nicht unser 1. Korinther gemeint ist:

"Denn wenn ich euch auch durch den Brief betrübt habe, so reut es mich nicht. Wenn es mich auch gereut hat, so sehe ich, dass jener Brief, wenn er euch auch kurze Zeit betrübt hat doch Segen gewirkt hat; und jetzt freue ich mich nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid; denn ihr seid nach Gottes Sinn betrübt worden, damit ihr in keiner Weise von uns Schaden erlittet." (2.Korinther 7,8)

Wenn man also beim Lesen im Hinterkopf behält, dass Paulus in seinen Briefen vermeintlich auf Briefe und Themen Bezug nimmt, die ihm die Korinther geschrieben haben, kann es gut sein, dass er hin und wieder Aussagen aus diesen erhaltenen Briefen zitiert. So könnte es z. B. an folgender Stelle gewesen sein:

"Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nützlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen." (1.Korinther 6,12)

Würde man hier entsprechende Zitate kennzeichnen, könnte Paulus‘ Aussage so aussehen:

„Alles ist mir erlaubt“ (sagt ihr), aber nicht alles ist nützlich (sage ich). „Alles ist mir erlaubt“ (sagt ihr), aber ich will mich von nichts beherrschen lassen (sage ich).

Wie sehr sich eine Aussage sogar durch eine solche Unterscheidung in Zitat und Gegenrede geradezu ins Gegenteil umkehrt und dabei im Kontext gleichzeitig auch viel sinnvoller wird, zeigt eine andere Stelle im gleichen Brief:

"Eifert aber um die größeren Gnadengaben! Und einen Weg noch weit darüber hinaus zeige ich euch:" (1.Korinther 12,31)

Das ist der Schluss unter einem Abschnitt, in dem Paulus die Gemeinde als einen Leib mit vielen Gliedern beschreibt. Dort schreibt er nur einige Sätze zuvor:

"Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dabei dem Mangelhafteren größere Ehre gegeben, damit keine Spaltung im Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten." (1.Korinther 12,24)

Das klingt nicht wie der Aufruf zum Streben nach Größerem, oder?


Im Anschluss an den Vers 31 „… einen Weg noch weit darüber hinaus zeige ich euch“ schreibt Paulus das ‚Hohelied der Liebe‘ (1. Korinther 13). Man sieht also, so recht will dieser Vers 31, wenn er so dasteht, weder zu dem vorher gesagten noch zu dem folgenden Inhalt passen. Ganz anders wird das allerdings, wenn es sich hier wieder um ein Zitat der Einstellung der Korinther handelt, dem Paulus hier widerspricht. Sehr schön wird das klar, wenn man die Übersetzung der Verse 30 und 31 in der Basisbibel liest:

"Oder haben alle die Gabe zu heilen? Können alle in unbekannten Sprachen reden? Oder können alle diese Sprachen deuten? Aber ihr strebt ja nach den höheren Gaben! Jetzt will ich euch einen Weg zeigen, der weit über das alles hinausführt …" (die selbstlose Liebe in Kap. 13)

Nur so macht das Ganze einen Sinn, denn es geht Paulus hier sicher nicht um den Anreiz möglichst groß zu werden oder möglichst Spektakuläres zu leisten.


Das bringt mich auch zu einem weiteren Beispiel dafür, wie die Wortwahl bei der Übersetzung Ausdruck einer ganzen Denkart sein kann.


Hier geht es mir um das Wort, welches meine rev. Elberfelder Übersetzung an den allermeisten Stellen mit „ermahnen“ übersetzt. Schlägt man aber mal nach, welches griechische Wort dort steht, dann ist es dies: „parakaleo“ = trösten, bitten, ermuntern

"Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle einmütig redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung völlig zusammengefügt seit." (1.Korinther 1,10)
"Seht zu, Brüder, dass nicht etwa in jemandem von euch ein böses Herz des Unglaubens sei im Abfall vom lebendigen Gott, sondern ermuntert einander jeden Tag, solange es « heute » heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch Betrug der Sünde!" (Hebräer 3,12-13)

An beiden Stellen steht „parakaleo“! Insgesamt kommt dieses Wort, das offensichtlich so viel positiver gemeint ist als „ermahnen“, 104x im NT vor. (Spürt ihr auch den erhobenen Zeigefinger hinter der Wortwahl?)


Das Wort für „ermahnen“ (gr. paraineo) wird dagegen nur ganze 2x benutzt, bei Paulus' ernsthafter Ermahnung an die Schiffbrüchigen auf seiner Reise, endlich etwas zu essen, um wieder zu Kräften zu kommen und die Zuversicht nicht zu verlieren (Apostelgeschichte 27).


Diese Art, die Bibel eher als Schwert zu benutzen (entschuldigt die Wortwahl), bringt mich dann auch zum Anfang des Beitrags zurück, zu Jesu Vorstellung als der wahre Weinstock. In Johannes 15 liest sich das so:



"Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. <Ihr> seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch! Wie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn am Weinstock, so auch <ihr> nicht, ihr bleibt denn in mir. <Ich> bin der Weinstock, <ihr> seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun." (Johannes 15,1-5)

Kann das wirklich so sein, wie hervorgehoben? Stellt uns Jesus die Liebe unseres himmlischen Vaters wirklich so vor? Wird es so sein, dass tatsächlich jemand, der am Weinstock (in Christus) ist, bei Schlechtleistung abgeschnitten wird?


Wer nicht genug leistet, kommt weg, weil er nur die anderen behindert???


So denken doch wohl nur kapitalistische Ökonomen. Und man kann mit dieser Wortwahl auch so wunderbar Druck ausüben!? Aber ist das Reich Gottes nicht ganz anders?


Dankenswerter Weise hat meine rev. Elberfelder Bibel an dieser Stelle eine bemerkenswerte Fußnote!


Das hier von Johannes benutzte griechische Wort heißt „airo“ und bedeutet so viel wie „aufheben“. Dieses Wort kommt im NT 98x vor und an keiner anderen Stelle (außer hier) wird es auch nur annähernd als wegnehmen oder gar abschneiden benutzt. Zum Beispiel nach der Speisung der 5.000 werden 12 Körbe voll Reste „aufgehoben“, damit nichts verloren geht.


Was Jesus in seiner Beschreibung des Weingärtners meint, wird wunderbar in einem Psalm deutlich:

"Wer ist wie der HERR, unser Gott, der hoch oben thront, der in die Tiefe schaut im Himmel und auf Erden? Der aus dem Staub emporhebt den Geringen, aus dem Schmutz den Armen erhöht, um ihn sitzen zu lassen bei Edlen, bei den Edlen seines Volkes." (Psalm 113,5-8)

Ja, wie ein sorgsamer Weingärtner, dem jede einzelne Rebe am Herzen liegt, wird unser himmlischer Vater einen jeden von uns, der am Boden liegt und gerade nicht in der Lage ist, Frucht zu bringen, behutsam aufheben, wieder aus dem Dreck ans Licht bringen, hochbinden und reinigen, damit wir wieder zu Kräften kommen und neu ausschlagen können.


Es möge jeder selbst entscheiden, was wohl eher dem Wesen unseres himmlischen Vaters entspricht:


… Wegnehmen oder Hochheben?

… Abschneiden oder Aufrichten?

… Ausschließen oder Zurückgewinnen?

… Besserwissen oder Liebe?

… Drohen oder Ermutigen?


In diesem Sinne …

Hallelujah! (Gelobt sei Jahweh, unser Gott)

Euer Peter

 

Foto von Peter Keller auf unsplash

1 Comment


Guest
Oct 24, 2024

Richtigstellung falsch verstandener Übersetzungen - sehr schön!

Viele Grüße!

Tomas

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