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Nichts zu verlieren?

Vor vier Wochen hat mein Glaubensleben einen unerwarteten Boost erhalten. Ich habe seitdem so viel in der Bibel gelesen, wie schon lange nicht mehr, und mich intensiv mit Fragen beschäftigt, die ich mir schon lange nicht mehr gestellt hatte. Auslöser dafür war kein herausfordernder Podcast und auch keine mitreißende Predigt, sondern eine Dienstreise.

 

Ich war für ein Team-Event mit meiner gesamten Abteilung zu unserem Firmenhauptsitz gereist und hatte dort drei schöne Tage des Austauschs, Kennenlernens und gemeinsam Kochens erlebt. Da besagter Hauptsitz etwa 6 Stunden von Braunschweig, wo ich wohne und arbeite, entfernt ist, schien es mir praktisch, gleich noch ein paar Arbeitstermine anzuhängen und noch für eine weitere Woche zu bleiben.

 

Nach Ende der drei Tage Team-Event wurde es jedoch schlagartig unangenehm still im Hotel. Alle anderen Kollegen, die für Trubel am Frühstücksbuffet und geselliges Gewusel abends an der Hotelbar gesorgt hatten, waren wieder abgereist und ich blieb allein zurück – fast zumindest. Denn meine Kollegin und gute Freundin Steffi, die inzwischen in Kanada wohnt und extra von dort angereist war, blieb ebenfalls noch ein paar Tage länger.

 

Wir trafen uns also morgens zum Frühstück, fuhren gemeinsam zur Arbeit und hatten mehrere lange Feierabende mit nichts zu tun, außer über Gott und die Welt zu quatschen. Und das taten wir auch – wortwörtlich. Ich kann selbst nicht mehr rekonstruieren, über was genau wir an diesen paar Abenden geredet haben, aber das Ergebnis war, dass wir nun seit vier Wochen einen kleinen Buchclub haben und (mit inzwischen wieder neun Stunden Zeitverschiebung) einen Klassiker der Weltliteratur gemeinsam lesen: die Bibel.

 

Inzwischen ist aus unserem kleinen literarischen Duett sogar ein literarisches Quartett geworden, mit ziemlich klar verteilten Rollen: Steffi, die die Bibel zum ersten Mal außerhalb des Schulunterrichts liest, stellt die schwierigen und herausfordernden Fragen, meine Frau, eine weitere gläubige Kollegin und ich versuchen aus unseren verschiedenen christlichen Hintergründen halbwegs zufriedenstellende Gedanken dazu beizusteuern – alles über einen gemeinsamen Excel-Leseplan und eine Chat-Gruppe bei Signal. Ein kleines Abenteuer, aber eins, das allen Beteiligten viel Spaß macht!

 

Es war so ca. zwei Wochen nachdem unser Projekt gestartet war, als ich mal einen Zwischenstand erfragen wollte und Steffi einfach geradeheraus schrieb: Was denkst du denn bisher eigentlich zu dem allen? Tendierst du dazu zu glauben, dass es einen Gott gibt? Oder hältst du das alles für nette Märchen mit ganz guten moralischen Ideen? Ihre Antwort zeigte mir, dass sie sich definitiv nicht erst seit zwei Wochen mit diesen Fragen beschäftigte oder zumindest den Religionsunterricht in der Schule nicht nur verschlafen hatte. Sie schrieb in etwa Folgendes:

„Ich halte das erst mal mit Blaise Pascal: Wer an Gott glaubt, hat nichts zu verlieren aber alles zu gewinnen.“

Wow. Das war unerwartet philosophisch und deep. Und es machte mich nachdenklich … stimmte ich dem zu? Den Part, dass es alles zu gewinnen gibt, konnte ich ohne Frage unterschreiben. Was ich erlebte, war ja quasi der Traum eines jeden Vertrieblers: Die Kundin brachte selbst die besten Kaufargumente! Aber musste ich in meiner Rolle als Gottes Außendienstmitarbeiter nicht auch ehrlich sein und die Kundin auf mögliche Risiken hinweisen? Ich fragte mich daher selbst: Gibt es im Glauben wirklich nichts zu verlieren?

 


Seitdem habe ich ein bisschen zu dieser sinngemäß zitierten Aussage von Blaise Pascal recherchiert. Sie stammt aus einem Werk von ihm mit dem Namen „Pensées“ (zu Deutsch etwa: Gedanken). In diesem Buch stellt er die sogenannte Pascal’sche Wette vor, die in ihren Einzelheiten noch ein gutes Stück über die oben genannte vereinfachte Zusammenfassung hinaus geht. Wer mehr dazu wissen möchte, findet z.B. bei Wikipedia eine gute Einführung und weiterführende Links. Auch präsentiert der Wikipedia-Artikel einige nachvollziehbare Kritikpunkte an der doch recht übersimplifizierten Wette, auf die Pascal offenbar auch selbst später noch eingegangen ist. Demnach müsste eine sinngemäße Zusammenfassung seiner Aussage wohl eher heißen: Wer an Gott glaubt, hat wenig zu verlieren aber alles zu gewinnen.

 

Mit dieser Formulierung fühle ich mich ein ganzes Stück wohler und auch vor meiner Recherche war das im Kern, was ich Steffi zurückschrieb: Ja, du kannst alles gewinnen (=ewiges Leben in Frieden und Freude), aber es ist nicht so, dass der christliche Glaube ganz ohne Opfer auskommen würde – und damit meine ich nicht die Opfer aus dem mosaischen Gesetz.

 

Eine Passage, die mir beim Nachsinnen über die potenziellen Abstriche im Leben durch den Glauben direkt in den Kopf kam, war folgende:

„Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus gehofft haben, so sind wir die elendesten von allen Menschen.“ (1. Korinther 15,19)

Ganz schön drastische Worte von Paulus. Der Kontext ist hier, dass einige junge Christen in Korinth offenbar nicht an die Auferstehung aus den Toten glaubten. Paulus steht dem vehement entgegen, indem er schreibt, dass die Auferstehung sogar ganz im Kern des christlichen Glaubens steht. Es ist die zentrale christliche Hoffnung und das, wonach Christen sich sehnen: Endlich ein Leben in Frieden mit Gott und ohne all das Leid, das wir uns gegenseitig und der Erde in unserer jetzigen Imperfektion kontinuierlich antun. Wenn es diesen finalen Zustand nicht gibt, so argumentiert Paulus, dann ist unser Glaube ziellos. Und nicht nur das: Er schadet uns sogar. Oder um es in Anlehnung an Blaise Pascal zu sagen: Wer sich auf den Glauben an Gott einlässt, hat alles zu gewinnen, aber auch eine ganze Menge zu verlieren! Nur … was meint Paulus eigentlich damit? So klingt die Wette erst mal nicht mehr sehr verlockend, oder?

 

Ich glaube, dass er hier ganz praktisch um die Auswirkungen geht, die ein Leben mit christlichen Werten mit sich bringt. In vielen Fällen heißt das nämlich: zurückstecken, nachgeben, „den unteren Weg gehen“ oder die andere Wange hinhalten. So sagt es Jesus selbst:

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn jemand dich auf deine rechte Backe schlagen wird, dem biete auch die andere dar; und dem, der mit dir vor Gericht gehen und dein Untergewand nehmen will, dem lass auch den Mantel! Und wenn jemand dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem geh zwei! Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will! Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr allein eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die von den Nationen dasselbe? Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Matthäus 5,38-48)

Das sind ganz schön hohe Ansprüche! Zum Glück wird von einem Christen nicht erwartet, dass er diesen Ansprüchen in jeder Situation gerecht wird. Eigentlich ist es sogar eher so, dass uns diese Ideale vor allem verdeutlichen sollen, wie weit wir davon entfernt sind, ein wirklich liebevolles Leben in Gottes Sinn zu führen. Dass wir das nicht hinbekommen, muss uns nicht deprimieren. Dafür gibt es Gnade! Aber als Christ kann ich sagen: Auch wenn ich das alles oft nicht umgesetzt bekomme – versuchen möchte ich es trotzdem! Und zwar weil ich denke, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn alle das täten.

 

Ich glaube das ist es, was Paulus bewogen hat, etwas überspitzt zu formulieren, dass ein Christ ohne Hoffnung auf Auferstehung und das Königreich Gottes ein reichlich elendes Leben führt. Das ist dann nämlich ein Leben, in dem man das tut, was man für moralisch korrekt hält, dabei jedoch alle Nase lang ausgelacht, verspottet oder sogar ausgenutzt wird. Man sieht nicht selten andere auf der Überholspur an einem vorbeiziehen, denen Moral und ein liebevoller Umgang eben nicht so wichtig sind, wenn sie stattdessen Geld, Ruhm oder Macht haben können. Und das kann schon im ganz Kleinen sichtbar werden.

 

Ich erinnere mich gut an eine Situation zu meinen Studenten-Zeiten. Ich wohnte damals in einer WG, hatte ein kleines Zimmer und zahlte dafür meinen Anteil Miete. So weit, so gut. Eines Tages bekam ich allerdings einen Brief von der GEZ. Über Rundfunkgebühren hatte ich mir ehrlich gesagt bis dahin einfach keine Gedanken gemacht, was sicherlich ein bisschen naiv war. Entsprechend fiel ich auch fast vom Stuhl, als ich las, dass der GEZ aufgefallen war, dass ich bisher noch nichts gezahlt hatte, aber doch vermutlich bereits einige Monate an dieser Adresse wohnte. Das war auch tatsächlich der Fall. Da die GEZ nun keine Möglichkeit hatte nachzuprüfen, seit wann genau ich an dieser Adresse wohnte und Beiträge hätte zahlen müssen, sollte ich doch bitte einfach mein Einzugsdatum in das beiliegende Formular eintragen und dieses zurücksenden. Man würde mir dann die Höhe meiner Nachzahlung mitteilen.

 

Tja, was macht man in so einer Situation? Ich konnte schnell recherchieren, dass die Nachzahlungen sich auf etwa 200€ belaufen würden, sollte ich mein Einzugsdatum wahrheitsgemäß eintragen. Ganz schön viel Geld für einen Studenten. Ich hätte mir das Geld natürlich sparen können oder wenigstens einen Teil davon, wenn ich mein Einzugsdatum einfach um ein paar kleine unbedeutende Monate nach hinten gefälscht hätte. Eine Möglichkeit der Überprüfung gab es für die GEZ ja offenbar nicht. Allerdings wäre das dann auch eine glasklare Lüge gewesen …

 

Ich dachte einige Tage darüber nach, bevor ich den Brief abschickte. Ich war wirklich hin- und hergerissen. Was waren schon 200€ für die große GEZ … auf die zu verzichten tat denen doch nicht weh. Für mich als Studenten hingegen, war das eine Menge. Meine erste E-Gitarre, die ich bis heute spiele, hatte weniger gekostet … Auch wenn mich die 200€ weniger auf dem Konto also nicht gleich umbrachten, gab es doch viele schöne Dinge, die ich mir gegebenenfalls nicht würde kaufen können und die mein Leben so sehr bereichern könnten … Wäre aber immer noch gelogen … aber eine kleine Lüge … oder?

 

Ich habe damals wirklich mit mir gerungen. Am Ende habe ich mich aber für den Weg entschieden, der mir weh tat, sich aber richtig anfühlte: Ich gab wahrheitsgemäß mein Einzugsdatum an und zahlte tatsächlich etwa 200€ nach. (Die hätten ja auch mal meine Ehrlichkeit honorieren und ein Auge zudrücken können …) Trotzdem ich nun also etwa eine Einsteiger-Gitarre ärmer war, fühlte es sich einfach gut an, mit mir gerungen zu haben und am Ende das in meinen Augen Richtige getan zu haben.


Das gab mir einen richtigen kleinen Motivations-Boost! Zumindest, bis ich in meinem Überschwung dem ersten Freund davon erzählte und gehörig ausgelacht wurde. Es gab offenbar niemanden in meinem näheren Umfeld, der so „dumm“ gewesen wäre, nicht einfach zu lügen und 200€ mehr auf dem Konto zu haben. Jetzt fühlte es sich plötzlich gar nicht mehr gut an. Ich fühlte mich, um es mit Paulus Worten zu sagen, richtig elend … und bei dieser Reaktion aus meinem Umfeld war das Wissen, das Richtige getan zu haben, plötzlich auch nur noch ein schwacher Trost.

 

Warum erzähle ich das alles? Weil ich denke, dass Pascal gut daran tat, seine Wette im Nachgang noch einmal zu relativieren. Es gibt nicht nichts zu verlieren im christlichen Glauben. Manchmal sind es schon ganz kleine und unbedeutende Dinge, wie eine ehrliche Rückmeldung, die einem Magenkrämpfe bereiten und einen richtigen Dämpfer versetzen können. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto cooler finde ich eigentlich, dass etwas auf dem Spiel steht.

 

Wenn es im christlichen Glauben nichts zu verlieren gäbe, würde ich dem Braten nicht trauen. Und es würde mir auch schwerfallen, anderen von diesem Glauben zu erzählen. Alles gewinnen können komplett ohne Risiko? Das wäre doch überaus suspekt. Dann wäre der christliche Glaube am Ende bloß eins von Millionen Multi-Level-Marketing-Produkten, die das zwar offiziell nicht sagen dürfen, aber insgeheim tatsächlich komplett ohne Nebenwirkungen jeden Krebs heilen, den Klimawandel stoppen und Krieg auf der Erde beenden können. Zu schön, um wahr zu sein!


Es gibt also Risiken und Nebenwirkungen und täglich ein Kreuz zu tragen. Aber Jesus nachzufolgen und zu versuchen, seine Liebe selbst auch zu leben und weiterzugeben, ist kein schlecht investiertes und schon gar kein verschwendetes Gut. Es ist auch nicht nur Mittel zum Zweck, um am Ende ewiges Leben zu bekommen. Es kann schon jetzt das eigene Leben und das der Menschen um uns herum positiv verändern. Und als Kirsche auf der Sahne führt es außerdem noch dazu, dass wir auf eine Ewigkeit in Frieden und Freude mit Gott hoffen dürfen.

 

Deshalb bin ich am Ende doch bei Blaise Pascal und sage: Ich glaube, die Wette lohnt sich! Und ich bin gespannt, wo die Reise für unseren kleinen Buchclub noch hingehen wird.

 

 

Gottes Segen in bis zum nächsten Mal

 

Euer Daniel

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