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Mein, dein, unser Vater

  • Autorenbild: Daniel
    Daniel
  • vor 2 Tagen
  • 7 Min. Lesezeit

An einem Donnerstag vor ein paar Wochen, als wir noch sommerliche Temperaturen hatten, war ich abends spazieren. Seit unserem Umzug ist das besonders schön, denn wir wohnen jetzt am Rand eines sehr dörflichen Stadtteils. In nur 2 Minuten ist man am Feld, hinter dem Feld ist direkt der Fluss, und drum herum ab und zu ein Radfahrer aber meist nur Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. Ich kannte noch nicht viel von der Umgebung, also beschloss ich, eine größere Runde zu drehen. Ich ging am Fluss entlang bis zu einem kleinen Wehr, überquerte dort das Wasser und schlenderte wiederum zwischen Wasser, Feldern, Schaf- und Kuhweiden vorbei. Mein Weg führte mich durch wunderschöne Natur.


 

Auf der anderen Seite der Weide konnte ich schon den benachbarten Stadtteil sehen, aber da ich die Stille genoss, folgte ich weiter dem erdigen Weg am Fluss und versuchte möglichst vom Ortsrand fernzubleiben. Als ich gerade ein paar heu-mampfende Pferde passierte, hörte ich auf einmal in der abendlichen Stille ein unerwartetes Geräusch – jemand sang. Ich ging ein paar Meter weiter, entlang einiger Grundstücke, die nur durch meinen kleinen Weg vom Fluss getrennt waren, als hinter einem Busch plötzlich eine kleine Kirche auftauchte. Das Singen war zwar noch dumpf, aber es wurde lauter. Und ich hörte, dass es nicht eine einzelne Person war, die dort sang – es war ein ganzer Chor. Ich blieb stehen und lauschte. Leider schien ich gerade das Ende eines Stückes erwischt zu haben, denn plötzlich wurde es wieder still und für die nächsten paar Minuten sang niemand mehr. Was ich gehört hatte, gefiel mir jedoch sehr gut und erinnerte mich an meine Zeit im Schulchor zurück – eine sehr schöne Erinnerung. Ich beschloss zu Hause mal zu schauen, was das für eine Gruppe gewesen sein mochte.


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Long story short – seit ca. 2 Monaten singe ich nun wieder in einem Chor! Immer donnerstags treffen wir uns zwischen 19:30 und 21:30 im Gemeindehaus der kleinen, idyllischen Kirche im Nachbarstadtteil, die ich durch Zufall gefunden hatte. Der Chor hat zwar keinen direkten Bezug zur Kirche, darf aber die hübschen Örtlichkeiten nutzen. Außerdem gibt es gewisse Schnittmenge zwischen den Mitgliedern meines Chors und des offiziellen Kirchenchors. 😉

 

Ich vermute Chor-Singen ist eine sehr spezielle Sache … entweder, man hat einen Bezug dazu oder aber man hat ihn so absolut gar nicht. Für mich ist es eine wunderbare Sache, begleitet von vielen schönen Erinnerungen: Ich lerne neue Menschen kennen, komme regelmäßig aus dem Haus und kann für 2 Stunden komplett vom Alltag abschalten – das Niveau dort ist ziemlich hoch und auch als erfahrener Chorsänger muss ich mich voll und ganz fokussieren, um mitzukommen! Ich kann (und muss) also alles, was sonst so in meinem Kopf schwirrt, komplett ausblenden und einfach nur im Moment und in der Musik sein – das ist einfach toll und gibt mir ein wohlig-warmes Gefühl in der Brust, das ich so schon lange nicht mehr gefühlt habe.

 

Der Chor, die herzliche Aufnahme, die hübsche kleine Kirche nebenan, der Kirchgarten, der Fluss hinterm Kirchgarten … alles wirkt auf mich fast wie im Film. Und das scheint auch für die evangelische Gemeinde zu gelten, in deren Räumlichkeiten wird Proben. Eine Chor-Kollegin (und Mitwirkende im Kirchenvorstand) meinte schon am ersten Abend zu mir: „Wir sind hier die Insel der Glückseligen. Hier ist die Welt noch in Ordnung.“ Vermutlich war es das Zusammenspiel aus dieser Aussage und der herzlichen Atmosphäre, das mich neulich nach der Chorprobe zum schwarzen Brett im Gemeindehaus gezogen hat. Ich wollte schauen, ob ich irgendwie noch mehr Einblicke in diese „Insel der Glückseligen“ bekommen konnte, und so kam es, dass ich mich mit Lisa und den Kindern vor zwei Wochen sonntagmorgens aufs Rad geschwungen habe und wir zum Erntedank-Familien-Gottesdienst in der idyllischen evangelischen Kirche gefahren sind.

 

Ich glaube ich war schon genau so lange nicht mehr in einem landeskirchlichen Gottesdienst, wie ich nicht mehr im Chor gesungen habe – nämlich seit dem Abitur. Daher war ich etwas aufgeregt, was uns erwarten würde. Ich erkannte aber schon bei unserer Ankunft mehrere Chor-Kolleginnen wieder, die offenbar auch in der Kirchengemeinde aktiv sind. Sie waren noch mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt und so setzten wir uns auf eine Bank in der Mitte der Kirche (nicht ganz hinten, aber vor allem auch nicht ganz vorne!) und warteten gespannt, was gleich passieren würde.

 

Ich kürze an dieser Stelle ab: Es gab einige Lieder (mal mit der Orgel, überwiegend aber mit der Gitarre begleitet), einen kurzen Gedanken der Pastorin zum Thema Dankbarkeit, ein kleines Theaterstück darüber, wie unser Essen auf den Tisch kommt und wie Gott die Rahmenbedingungen für das Säen und Ernten ganz wunderbar geschaffen hat (vorgetragen von einigen Frauen aus der Gemeinde), und es wurden kleine selbstgemachte Snacks durch die Reihen gegeben, die das Thema Erntedank unterstreichen sollten. Mit vielem davon hatte ich nicht gerechnet und war positiv überrascht, wie viel Engagement der Gemeinde in diesen Gottesdienst gesteckt wurde. Die Pastorin war nur am Rand beteiligt. Einige Elemente der klassischen Liturgie gab es dann aber doch noch. Eins davon war das gemeinsam gesprochene (oder sollte ich sagen „gebrummte“?) „Vater unser“.

 

Ich musste innerlich schmunzeln: Dass das immer noch (im wahrsten Sinne des Wortes) so runtergebetet wird … Ich fühlte mich direkt zurückversetzt in meine Schulzeit, in die Schulgottesdienste, und erinnerte mich an eine lebhafte Diskussion mit meiner damaligen Religionslehrerin über das „Für“ und „Wider“ dieser alten Tradition (immer friedlich und freundlich, wir mochten uns!). Ich hatte selbst schon einige Zeit nicht mehr über das Vater Unser, das vermutlich bekannteste Gebet der Welt, nachgedacht – dachte ich zumindest! Denn als ich es so mitsprach (was spricht generell dagegen? Es kommt ja direkt von Jesus) erinnerte ich mich an eine Podcast-Folge (Hossa Talk), die ich kürzlich gehört hatte. Dort ging es zufällig (?) um genau dasselbe Gebet und es wurden einige Interessante Gedanken dazu diskutiert.

 

Da es mich noch eine Weile beschäftigt hat, möchte ich heute ein paar Gedanken zum Vater Unser mit euch teilen – genauer gesagt eigentlich nur zur ersten Zeile, die heute zum „Titel“ des Gebets geworden ist.

 

Ich habe das Vater Unser schon oft gelesen oder gehört und nie ist mir dabei in den Sinn gekommen, dass bereits die ersten zwei Wörter sehr besonders sind:

„Betet ihr nun so: Unser Vater, der ⟨du bist⟩ in den Himmeln, geheiligt werde dein Name;“ (Matthäus 6,9; Hervorhebung von mir)

War euch bewusst, dass Jesus nur an dieser einen Stelle von „unserem“ Vater spricht? Mir nicht. Es gibt laut Aussage im Hossa Talk Podcast (Folge 265) und auch nach meinen eigenen Recherchen keine weitere Stelle, an der Jesus das Possessivpronomen „unser“ für seinen und unseren Vater (JAHWE) benutzt. Es gibt viele Stellen, in denen er von „mein Vater“ oder „euer Vater“ spricht, aber nur an dieser Stelle von „unser Vater“. Warum ist das so?

 

Zugegeben, ich bin kein Freund von Überinterpretation. Vielleicht hat es einfach nichts zu sagen. Aber vielleicht ja auch doch. Und in diesem Fall habe ich zwei interessante mögliche Antworten gefunden, die ich gerne mit euch teilen möchte, weil sie beide auf ihre Art sehr schön sind.

 

Die erste Antwort auf die Frage „Warum sagt Jesus nur an dieser einen Stelle ‚unser Vater‘?“ ist: Als Denkanstoß für die Nicht-Gläubigen. Je nachdem, ob man das Vater Unser in Matthäus oder Lukas liest, unterscheidet sich der Kontext, in dem Jesus es gesprochen hat. Laut Matthäus war es im Rahmen der Bergpredigt, laut Lukas haben die Jünger ihn eher privat gebeten, ihnen eine Vorlage für ein gutes Gebet zu nennen. Egal, in welchem Kontext es nun wirklich gesprochen wurde: Heute kennt es so gut wie jeder. Zumindest grob. Zumindest den „Titel“. Und in diesem „Titel“ steckt bereits eine kleine Provokation, denn wie grenzt sich „unser“ ab? Wer ist mit „unser“ gemeint?

 

Wenn ich bete, dann spreche ich meist zu Gott als „meinem Vater“. Das wäre also auch eine Option für Jesu „Gebets-Template“ gewesen, denn es hätte für jeden einzelnen gut funktioniert. Jesus wählt aber ein anderes Wort, das viel weitreichender ist. „Unser“ kann in jeder Konstellation von Menschen andere Individuen einschließen – und damit hat es irgendwie auch gar keine Grenze. Wenn ich das Gebet mit Lisa sprechen würde, dann bedeutet „unser“ Vater mein und ihr Vater. Wenn ich laut in der Fußgängerzone sprechen würde, dann wäre „unser“ schon deutlich weniger klar. Und genau hier liegt der Punkt der ersten Antwort: Dadurch, dass Jesus vermeintlich bewusst „unser Vater“ gesagt hat, könnte man argumentieren, dass er auf etwas provokante Art hier einfach jeden Menschen einschließt – den Gläubigen genauso wie den Ungläubigen, der eventuell gerade vorbeigelaufen ist. Natürlich würde der Ungläubige selbst Gott nicht als seinen Vater bezeichnen, aber man könnte Jesus unterstellen, dass er mit dieser Wortwahl sagen möchte: Egal, ob du es glaubst oder nicht – Gott ist auch dein Vater. Gott ist der Vater allen Lebens. Denk mal drüber nach. Irgendwie finde ich, dieser Gedanke passt zu meinem Bild von Jesus – es ist eine direkte, leicht herausfordernde, aber trotzdem liebevolle Art, Menschen von Gott zu erzählen. Der Gedanke gefällt mir!

 

Die zweite Antwort auf die Frage „Warum sagt Jesus nur an dieser einen Stelle ‚unser Vater‘?“ ist: Als Denkanstoß für die Gläubigen. Wie schon erwähnt: Wenn ich still für mich bete, dann würde ich normalerweise zu Gott als meinem Vater sprechen (auch wenn ich vermutlich nicht wörtlich die Worte „mein Vater“ benutzen würde). Jesus fordert mich hier aber heraus, indem er anbietet: Denk doch mal über Gott als „unseren“ statt als „deinen“ Vater nach. Sieh dich doch mal nicht als Individuum (wie es besonders in der heutigen Gesellschaft immer mehr Standard wird), sondern als Teil einer Gemeinschaft.

 

Wenn ich im Gebet von „unserem“ statt von „meinem“ Vater spreche, dann werden meine Gedanken unwillkürlich auch auf meine Geschwister im Glauben und vielleicht sogar auf alle Menschen erweitert. Dann wird mir ein Stück mehr bewusst, dass Gott der Vater aller ist – derer, die ich mag, und auch derer, die ich vielleicht nicht so mag. Er ist der Vater aller! Er ist „unser Vater“, nicht nur „mein Vater“. Auch diesen Gedanken finde ich sehr schön, denn er macht demütig. Er ordnet mich ein als Teil einer Gemeinschaft, die nicht ich, sondern Gott bestimmt hat. Und er erweitert meine Gedanken über mich selbst hinaus auf die Wünsche, Bedürfnisse und Probleme anderer, die ich in mein Gebet miteinschließen kann.

 

Hier ist daher meine kleine Challenge für diese Woche: Lasst uns doch mal versuchen, beim nächsten Gebet nach Jesus Vorbild zu „unserem Vater“ zu sprechen. Ich bin gespannt, ob es sich anders anfühlt und wenn ja, wie. In guter Social Media Manier würde ich sogar sagen: Schreibt’s mir doch mal in die Kommentare! 😉 Vielleicht führt es uns (mich und euch, wer auch immer ihr seid) ja auch ein Stück weiter zu einem Gefühl der Gemeinschaft auf einer „Insel der Glückseligen“ in der Welt und hilft ein kleines bisschen auf dem teilweise düsteren Weg, bis Jesus wiederkommt und aus der Insel eine Welt der Glückseligen macht.

 

 

Gottes Segen und bis zum nächsten Mal!

Euer Daniel

1 Kommentar


Christian
vor 19 Stunden

Guten Morgen lieber Daniel, vielen Dank für deinen sehr inspirierenden Beitrag. Ich kann mir schon jetzt sehr gut vorstellen, wie sich meine Gebete gefühlt verändern, wenn ich nicht "mein" sondern "unser" Vater bete und werde deine Challenge annehmen und mich Ende der Woche hier an dieser Stelle bei dir zurücksenden. Bis dahin wünsche ich dir und uns allen eine gesegnete und erfüllte Woche. Liebe Grüße in Jesus - Christian

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