Es ist dämmrig, nass und kühl als ich im November die Klosterkirche und angrenzende Räume in Loccum besichtigte. Den ganzen Tag hatte es geregnet und wir streiften etwas durchnässt und klamm durch die alten Gemäuer. Ich bewundere die Schlichtheit des hohen Kirchenraumes und höre gespannt den Erzählungen der Führerin zu. Das Leben als Mönch verlief sehr still. Geprägt vom strengen Tagesablauf, spärlicher Verpflegung und jeder Menge Arbeit mit kirchlichen Texten und Bildern oder auf dem Hof, dem Feld und im Wald. Beim Essen wurde nicht gesprochen, ein Mitbruder las aus der Septuaginta. Um sich trotzdem mitteilen zu können, erfanden die Mönche eine Zeichensprache. Von Menschen gemachte Regeln, werden von Menschen mit kreativen Lösungen umgangen! Das bringt mich zum Schmunzeln. Einen Raum, oder vielmehr ein zugiges, dunkles Gewölbe, wurde uns als Ort für regelmäßigen Austausch und Diskurs über geistliche Themen vorgestellt.
Die kleine Gruppe mit der ich diese Besichtigung machte, ist ein Teil meines Chores, der sich zum Üben für ein Wochenende in die Seminarräume des Klosters Loccum eingemietet hatte. Den ganzen Vormittag übten wir für Advent und Weihnachten. Jetzt konnten wir das Geübte im Gewölbe anstimmen. Nicht perfekt, aber durchaus gewaltig tönte unser Kanon und wir waren berührt.
Sonst mache ich mir nichts aus Kirchenliedern. Da ich nicht in der evangelischen oder katholischen Kirche aufgewachsen bin, kenne ich auch fast keines. Das ein und andere Lied spricht mich an, doch meistens bin ich mit dem Text nicht zufrieden und die Melodien sind oft dunkel und schwer. Hier ist das anders und ich möchte euch heute auf einen kleinen Ausflug ins Magnificat mitnehmen.
In beiden christlichen Kirchen spielt dieser Kanon eine Rolle, und in Loccum und anderen Klöstern gehörte dieser Lobgesang zur Abendandacht. Auch in Taizé wird dieses Lied gerne angestimmt. Im evangelischen Gesangbuch trägt die Nr. 579 folgende Überschrift: „Aus dem Lobgesang der Maria“.
„Magnificat, magnificat, magnificat anima mea Dominum“ – so lautet der lateinische Text
Maria, die Mutter Jesu, findet wunderschöne Worte, nachdem ihr der Engel Gabriel verkündet hatte, dass sie den Messias zur Welt bringen würde. Eine junge Frau, verlobt mit einem Zimmermann aus dem Stamm Juda aus Nazareth. Die Geschichte kennen wir. Lukas hat sie in seinem Evangelium beschrieben. Der Engel Gabriel spricht zu ihr und nimmt ihr die Angst vor diesem Wunder. Dieser Moment, in dem ihr bewusst wird, ich bin auserwählt, gibt ihr Mut und Kraft, sich den kommenden Herausforderungen zu stellen. Gottes Wege sind wunderbar und oft nicht gerade und einfach. Eine unverheiratete Frau wird schwanger, eine große Herausforderung für die junge Maria. Ein neues Kapitel in ihrem Leben wird aufgeschlagen. Josef, ihr Verlobter, ist ein guter und geduldiger Mann, er steht zu ihr und verstößt sie nicht. Die Nachricht, dass ihre Cousine Elisabeth, die bis dahin keine Kinder gebären konnte, schwanger war, verbindet die beiden. Zwei Frauen, zwei Wunder. Maria besucht ihre Cousine und beide sind beeindruckt von Gottes Kraft und Liebe. Marias Lobgesang ist in Lukas 1 festgehalten.
Da begann Maria, Gott zu loben: »Von ganzem Herzen preise ich den Herrn. Ich freue mich über Gott, meinen Retter. Mir, seiner Dienerin, hat er Beachtung geschenkt, und das, obwohl ich gering und unbedeutend bin. Von jetzt an und zu allen Zeiten wird man mich glücklich preisen, denn Gott hat große Dinge an mir getan, er, der mächtig und heilig ist! Seine Barmherzigkeit bleibt für immer und ewig, sie gilt allen Menschen, die in Ehrfurcht vor ihm leben. Er streckt seinen starken Arm aus und fegt die Hochmütigen mit ihren stolzen Plänen hinweg. Er stürzt Herrscher von ihrem Thron, Unterdrückte aber richtet er auf. Die Hungrigen beschenkt er mit Gütern, und die Reichen schickt er mit leeren Händen weg. Seine Barmherzigkeit hat er uns, seinen Dienern, zugesagt, ja, er wird seinem Volk Israel helfen. Er hat es unseren Vorfahren versprochen, Abraham und seinen Nachkommen hat er es für immer zugesagt.« (Lukas 1,46-55)
Ein einfaches Mädchen aus dem Volk, das glasklar vor Augen hat, was Gott mit ihr und der Menschheit vorhat. Das beeindruckt mich. Genauso wie der Lobpreis der Mirjam, den sie nach der Durchquerung des Roten Meeres anstimmt oder die Worte von Ruth, als sie sich mit ihrer Schwiegermutter auf den Weg macht. Maria kannte offensichtlich die Thora, oder wie die Juden sagen, Tanach. Jeder Vers ihres Lobgesangs hat eine Parallele im Alten Testament. Angefangen mit Worten aus 1.Samuel:
Hanna sang ein Loblied: »Der HERR erfüllt mein Herz mit großer Freude, er richtet mich auf und gibt mir neue Kraft (1.Samuel 2,1)
Über Worte aus Habakuk, aus dem 1. und 5.Buch des Mose, Psalmen, Hiob, Jesaja und Micha und zum Schluss zitiert sie aus 2. Samuel
Du hast deinen auserwählten König aus großen Gefahren errettet. Ja, du erweist mir, David, deine Liebe, und auch meine Nachkommen dürfen für alle Zeit darauf zählen. (2.Samuel 22,51).
(Eine Übersicht ist auf Wikipedia unter dem Stichwort „Magnificat“ zu finden)
Ich lebe in einer verwirrenden Zeit. Manchmal wird es „dunkel“ und „klamm“ auf meinem Lebensweg. Ich finde es aufbauend und stärkend wie Maria in Gottes Verheißungen Kraft und Mut findet und die Herausforderungen des Lebens annimmt, mit der Sicherheit, dass sie auf Gottes Liebe zählen kann. Maria hat uns durch Gottes Geist das Licht der Welt gebracht. Wenn ich auf das Licht, auf Jesus, schaue, wird es hell und warm.
„Meine Seele preist den Herrn“ – „Magnificat anima mea Dominum“
Eure Ulrike
Wer möchte kann sich das „Magnificat“ hier anhören:
Die Bibelzitate sind der Übersetzung Hoffnung für alle® entnommen, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica. Inc.® Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis-Verlag Basel.
Comments