Es ist erst ein paar Wochen her, dass wir uns mit vielen Geschwistern aus der ganzen Welt zu einer Bibelstudienwoche trafen, wie sie schon seit vielen Jahren regelmäßig stattfindet. Wenn man wie ich quasi schon sein ganzes Leben lang an solchen Veranstaltungen teilnimmt, wird man ohne es konkret wahrzunehmen natürlich durch die Vorträge, die es dort gibt, durch die Art ihrer Präsentation, ihren Aufbau und einen in fast jedem Vortrag immer zu erkennenden gleichen Grundtenor der Ermahnung beeinflusst. Man könnte fast sagen „geprägt“, auch wenn dieser Begriff aus der Verhaltensbiologie eher auf das Tierreich zutrifft.
In diesem Jahr war es allerdings tatsächlich anders, zumindest zur Hälfte der Vorträge. Eine Vortragsreihe über diverse Könige Israels und Judas aus dem Alten Testament hatte den stets zu erwartenden Aufbau. Unterlegt mit vielen Bibelstellen wurde die zentrale Botschaft als Ermahnung herausgearbeitet, auf die richtige Ausrichtung des eigenen Handelns mit Blick auf das richtige Ziel zu achten.
Es gab aber auch eine zweite Vortragsreihe, die so ganz anders mitten ins Herz jedes einzelnen zielte.
Der vortragende Bruder sprach in seinen Abschnitten über Fragen, die Jesus unterschiedlichen Menschen stellte, die ihm begegneten. Fragen, die nicht wirklich darauf zielten eine Antwort zu bekommen (die Jesus eh bereits kannte), sondern Fragen, die den Adressaten zum Nachdenken auffordern sollten. Zum Nachdenken beispielsweise über die eigene Beziehung zu Jesus.
Meine „Beziehung zu Jesus“ – das war, wie man an den vielen kleinen Gesprächsgruppen merken konnte, die sich im Anschluss an diesen Vortrag bildeten, als Thema doch für einige irgendwie verstörend und zumindest sehr ungewohnt.
Basis des Vortrags war Jesu Frage in Markus 8, wo er seine Jünger zunächst danach fragt, was denn die Leute meinen, wer er sei. Danach fragt er die Jünger direkt:
„Was aber sagt ihr, wer ich bin?“ (Markus 8,29)
Petrus‘ Antwort kennen wir wahrscheinlich alle. Aber auch hier ging es Jesus wohl nicht um diese Antwort, sondern darum, dass die Jünger darüber nachdenken konnten, wie gut sie ihren Herrn eigentlich kannten. Es ging um ihre persönliche Beziehung zu ihm!
Wir alle (gerade in unserer Glaubensgemeinschaft) kennen Jesu Lebenslauf bis ins kleinste Detail. Wir wissen, wo und was an welcher Stelle im Alten Testament schon über ihn gesagt ist, wir wissen, warum er gestorben ist, was sein Tod bewirkt hat, dass er auferstanden ist, und dass er wiederkommt um die Erde zu regieren, aber – im wirklichen Kern aber geht es nicht um „Wissen über" Jesus, sondern um eine persönliche liebevolle Beziehung zu ihm. Kennen wir ihn wirklich?
Kennenlernen und eine Beziehung aufbauen, das heißt:
- Zeit miteinander verbringen
- miteinander reden
- einander nahe sein
- einander vertrauen
Im Matthäusevangelium macht Jesus einen sehr wichtigen Punkt:
"Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch <deinen> Namen geweissagt und durch <deinen> Namen Dämonen ausgetrieben und durch <deinen> Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter! Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den werde ich mit einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute; und der Platzregen fiel herab, und die Ströme kamen, und die Winde wehten und stürmten gegen jenes Haus; und es fiel nicht, denn es war auf den Felsen gegründet." (Matthäus 7,21-25)
Wer meint, es gehe um das Sammeln von Erkenntnis und das Aufstellen und Befolgen von Regeln, dem wird Jesus (wie übrigens auch den törichten Jungfrauen) wohl antworten:
"Ich habe Euch nie gekannt!" (Matthäus 7,23 und 25,12)
Es geht auch nicht darum, das Haus möglichst schön zu bauen, sondern um das richtige Fundament! Und das Fundament von allem ist Jesus!
"Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Gewalten oder Mächte: alles ist durch ihn und zu ihm hin geschaffen; und er ist vor allem, und alles besteht durch ihn." (Kolosser 1,16-17)
Ich kann sehr gut nachfühlen, dass diese Botschaft über unsere Beziehung zu Jesus nicht einfach zu verarbeiten war. Zeit mit ihm verbringen, mit ihm reden, ihm nahe sein, das geht nur gut im Gebet und gerne auch im Gesang.
Auch ich bin groß geworden in einer Familie, in der schon meine Eltern zur Christadelphian-Gemeinde gehörten. Quasi von Kindesbeinen an habe ich erlebt und erfahren, später auch mitgestaltet, wie das Leben in der Gemeinde funktionierte. Über viele Jahrzehnte haben mich dabei gerade in jungen Jahren insbesondere drei Verhaltens- und Denkweisen geprägt:
- in der Gemeinde und Zuhause wurde nie zu Jesus gebetet
- selbstverständlich beteten nur Brüder und hielten Vorträge
- man sollte sich seiner Errettung nie zu sicher sein
Genau diese Dinge kamen mir jetzt sehr eindrücklich beim Hören der Vorträge in dieser Bibelstudienwoche wieder ins Bewusstsein.
Ich will hier nicht versäumen zu erwähnen, wie dankbar ich einem besonderen englischen Bruder bin (wer ihn kennt, weiß wen ich meine), der sich viele Jahrzehnte lang um unsere Gemeinde im Rheinland gekümmert hat. Dankbar dafür, dass er uns sehr behutsam zu einem anderen, stärker auf Jesus ausgerichteten Denken, hingeführt hat.
Wie stark dennoch die Prägung durch diese erlernten (und lange auch für richtig befundenen) Verhaltensmuster ist, wird mir erst heute zunehmend bewusster. Ich möchte das kurz anhand der drei oben erwähnten Themen beschreiben:
Da ich weder als Kind noch als junger Bruder je gelernt oder gehört hatte, wie es ist zu Jesus zu beten, fällt es mir auch heute noch schwer, die Beziehung zu meinem Herrn und Erlöser wirklich zu spüren. Meinen himmlischen Vater spüre ich ganz selbstverständlich als immer anwesenden aktiven Teil meines Lebens, bei Jesus gelingt mir das noch nicht – aber ich arbeite dran! Ja, Beziehung ist Arbeit!
Auch ein neues Verständnis für den Status von Schwestern in unserer Gemeinde (ich vermeide hier bewusst den Begriff „Rolle“) war lange nicht da, weil ich es nie erlebt, noch anders gehört hatte. Ich kann mich noch sehr genau an den Augenblick meiner Kehrtwende erinnern. Von einem inzwischen verstorbenen Bruder hatte ich das Buch „All One in Christ“ bekommen, in dem zwei englische Geschwister ihr Verständnis von dem Platz darlegen, den Frauen in der Gemeinde haben sollten.
Ich saß auf unserer Terrasse in der Sonne, begann das Buch zu lesen, und schon nach den ersten Kapiteln schossen mir die Tränen in die Augen. Was ich fühlte, war eine Mischung aus Bestürzung, Trauer und Wut, weil ich mich in diesem Moment von all den Geschwistern regelrecht belogen fühlte, die mir all die Jahre ein anderes Bild eingeprägt hatten. Zum Glück – oder besser wohl „Gott sei Dank“ gab es aber auch solche Geschwister, die schon immer ein Problem mit dieser für unsere Gemeinschaft traditionell ausschließlich männlich dominierten Sichtweise hatten.
Bei diesem Thema konnte ich es mir selbst ein wenig leichter machen, denn es betraf mich als Mann ja schließlich nur mittelbar. Trotzdem ist es mir aber wichtig, mich gegenüber jedem für eine Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit der Schwestern in allen Diensten in der Gemeinde einzusetzen. Wie schwer auch hier eine erlebte andere Prägung in der Gemeinde zu überwinden ist, spüre ich auch jetzt noch in unserer kleinen Gemeinde hier im Norden, wenn ich merke, wie schwer es der ein oder anderen Schwester noch immer fällt, in der Versammlung zu beten.
Zum dritten Spiegelstrich meiner Aufzählung: „Du solltest dich deiner Errettung nie zu sicher sein“ will ich euch eine kleine Begebenheit aus dieser Bibelstudienwoche schildern, die vor einigen Wochen stattfand.
An einem der Tage war es meine Aufgabe, die tägliche Bibellese in einer kleinen internationalen Gruppe zu moderieren. Wir besprachen an diesem Nachmittag das 5. Kapitel des Römerbriefes. Im ersten Teil dieses Kapitels geht es um eines meiner Lieblingsthemen, nämlich die Zeitform, in der hier Paulus einige wesentliche Tatsachen beschreibt. Zum Beispiel heißt es dort:
- da wir gerechtfertigt worden sind aus Glauben
- mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes
- Jetzt Versöhnung empfangen haben
Alle diese Aussagen stehen hier in der Vergangenheitsform, sind also Dinge, die bereits geschehen sind. Noch stärker wird das deutlich an drei anderen Stellen:
"Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht." (Römer 8,29-30)
"Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! Und wir sind es. Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist." (1. Johannes 3,1-2)
"Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden." (2. Korinther 5,17)
Wenn das alles tatsächlich so ist und unseren jetzigen "Status" bei Gott beschreibt, blieb für uns in der Tageslesegruppe ganz im Sinne Jesu die eine wichtige Frage zu stellen:
Glaubst Du das?
Ich konnte das Unbehagen einiger Geschwister bei dieser Frage regelrecht greifen. Zum Teil wurde das auch recht heftig artikuliert.
Früher habe ich oft meinen Vater geradezu dafür verurteilt, wie sicher er sich seiner Errettung war, trotz aller ihm bewussten Unzulänglichkeiten und Fehler. Ich empfand das regelrecht als arrogant, hatte ich doch in so vielen Bibelstudien und sonntäglichen „Ermahnungen“ all die Warnungen vor dem Abfall und dem "Ausharren bis ans Ende" immer wieder gehört. Heute kann ich ihn posthum nur für diese Glaubensgewissheit bewundern. Er hatte offensichtlich verinnerlicht, was uns Paulus in den uns so wohl bekannten Worten im Römerbrief überdeutlich klarstellt:
"Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns? Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet. Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: « Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden>. Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Römer 8,31-39)
Diese Aussagen sind so klar und unmissverständlich, und doch bleibt mir immer wieder nur, mich selbst zu vergewissern:
Glaubst Du das?
Diese Frage führt mich noch zu einem anderen Punkt, den ich gerne mit euch teilen möchte (Kommentare erwünscht).
Im Johannesevangelium lesen wir:
"Jesus sprach zu ihr (Marta): Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll." (Johannes 11,25-27)
Braucht es mehr Glauben?
Wenn wir unseren Herrn Jesus immer besser kennenlernen wollen, macht es wohl Sinn, sich gerade mit seinen Aussagen zu beschäftigen. Mir fällt dabei auf, dass Jesus so gar nichts über viele Themen biblischer Lehre sagt, die uns heute so wichtig zu sein scheinen, dass wir sogar versuchen, sie schriftlich als unsere „Glaubensgrundlage“ oder "Glaubensbekenntnis" zu formulieren. Was er allerdings sagt, hat immer mit Beziehung zu tun und damit, wie wir miteinander umgehen.
Kann es vielleicht sein, dass wir unsere Erkenntnisse und unser Wissen um biblische Lehrthemen mit Glauben verwechseln und dabei das Wesentliche verpassen?
Euer Peter
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Peter - Danke für Deine Gedanken!
Dazu fallen mir die ernsten Worte Jesu ein aus Matthäus 15, 8 & 9.
Viele liebe Grüße!
Marco