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  • AutorenbildIngo

Ein neues Hobby


Wie es dazu kam?


Immer wieder, wenn ich beim Bibellesen an dieser Stelle vorbeikam, habe ich mich gefragt, was mein Beitrag dazu sein kann.


Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten. (Jakobus 1, Vers 27)

Was kann das heute sein, Waisen und Witwen zu besuchen? Mit Waisen sind wahrscheinlich Menschen gemeint, die keine Eltern mehr haben und so gut wie keine Unterstützung der Familie erwarten können. Für die Witwe gilt das auch. Der Mann ist gestorben und sie bleibt unversorgt zurück. Zumindest war das in der Zeit nach Jesu Leben bestimmt häufig der Fall.

Heute sind diese Menschen in unserem Sozialstaat gut versorgt. Es gibt die Einrichtung der Pflegeeltern und der Adoption. Ehefrauen haben Anspruch auf Witwenrente und Erben das Vermögen und den Besitz des Mannes.

Welche Menschen soll ich da besuchen?

Viele Jahre hatte ich keine wirkliche Antwort darauf.


Im Frühsommer hörte ich einen Radiobeitrag.

Ein Reporter zog für eine Woche in ein Altenheim. Er wollte über das Leben dort berichten. Er nannte seine Feature

"Herr Nickels Schuhe."

Sehr hörenswert, wie ich meine. Einen Link findest du unten.

Diesem Herrn Nickel wurden die Schuhe versteckt, weil er mit Schuhen ständig das Haus verlässt und dann den Weg zurück nicht wieder findet. So konnte er nicht seine geliebten Spaziergänge machen.

Als ich das hörte meinte ich sofort, ich könnte mir vorstellen, einmal die Woche, mit so einem Menschen spazieren zu gehen.


In meinem nächsten Kurzurlaub erinnerte ich mich wieder an diese Sendung und mein Entschluss stand fest. Ich rief im nächsten Altenheim an und erzählte mein Anliegen. Von der Leitung wurde ich zum Kennenlernen eingeladen. Schnell einigten wir uns darauf, es einmal auszuprobieren. Die Leiterin hatte schon einen Mann vor Augen. Er kann nicht allein das Haus verlassen, weil er sich aufgrund seiner Krankheit verlaufen würde. Sie stimmte es mit den Angehörigen ab. Die waren erfreut und einverstanden. Für sie war es nicht möglich, regelmäßig ihren Onkel zu besuchen bzw. mit ihm spazieren zu gehen. Damit war auch mein einziger Anspruch erfüllt. Der Mensch sollte in gewisser Weise allein auf sich gestellt sein. Ich wollte nicht der Familie oder den Freunden ihre Rolle wegnehmen.


So ging es los.

Bis jetzt habe ich Herrn Bunte sechsmal getroffen. Jede Woche für eine Stunde am gleichen Wochentag. Das hat den Vorteil, dass wir es beide in unseren Alltag einbauen können. Und das hat auch schon ganz gut geklappt.

Lest also selbst in meinen Tagesberichten von unseren ersten gemeinsamen Erlebnissen.

In meinem Bericht habe ich die Namen der Personen und der Orte geändert und trotzdem versucht, alles so authentisch wie möglich zu beschreiben.


Sommer 2021


Heute bin ich zum ersten Mal im Altenheim. Dort lerne ich Herrn Bunte kennen. Wir unterhalten uns eine Stunde vor dem Hotel. Hotel, so nennt er das Altersheim.

Am Ende fragt ihn die Leiterin, wie es ihm gefallen hat. Er sagt beim Weggehen, "ihm kommen die Tränen." Das ist wohl ein Kompliment. Der Lohn für eine Stunde. Ein schönes Gefühl.



2.Tag mit Herrn Bunte

Er wartet schon auf mich. "Hatte schon gedacht, dass Sie nicht wiederkommen." Über mein Kommen freut er sich wohl. Er sitzt in seinem neuen Rollstuhl. So brechen wir also zu unserer ersten Runde auf.

Erst rechts zur Bahn. Der Weg ist schlecht. Das ist gefährlich. Also umdrehen und in die andere Richtung. "Wie geht es heute?" frage ich. "Morgens fing es ganz gut an." "Dann schmerzten die Knochen.

"So hatte ich noch nicht viel vom Tag." Er sagt weiter, "Ich kann hier nicht viel machen."

"Ich habe schon den Gedanken gehabt, mein Leben zu beenden." Ich sage, "Irgendetwas hat das Leben immer zu bieten - solange man nicht tot ist."

Puh - mit dem Rollstuhl durchs Dorf.

Das ist ein Abenteuer. "Geht das so, oder soll ich lieber selber laufen?"

"Heute versuch' ich es mit schieben." Einmal um die Kirche. Ich zeige ihm, was ich kenne. Ein schönes altes Haus. Das Gemeindehaus der Kirche. Hier hört der Weg um die Kirche auf. Umdrehen. Eine Baustelle von mir. Der Weg von hinten am ehemaligen Dorfkrug. Den Krug kennt er. Da ist sein Vater mit dem Pferdewagen vorbeigekommen, als er Holz geholt hat. Ich erzähle vom Sägewerk in der Nähe, wo ich auch schon Holz gekauft habe. Wieder erzählt er mir von der neuen Eisenbahn, die auf dem Wasser fahren soll. Was meint er nur damit? Ein E - Auto am Straßenrand.

"Das wird die neue Technik werden", meint er. Der Weg zurück auf den Hof ist schwer zu überwinden. "Nun helfe ich", sagt er und möchte selber laufen.

Mit meiner Hilfe steht er auf und macht erste, vorsichtige Schritte. Ich merke, dass es ganz gut geht. Also fahre ich mit dem Rollstuhl neben ihm. Bereit ihn wenn nötig, zu stützen. "Da ist wieder mein Zuhause."

"Ist das jetzt mein Zuhause?"

Er fremdelt noch etwas. Die Leiterin Frau Tulpe kommt vor die Tür. Ich sage laut, "Da ist die Hotelchefin". Wir schmunzeln. Vor der Tür angekommen nehmen zwei Mitarbeiter Herrn Bunte in Empfang. Sie freuen sich beide sehr über meinen Besuch und berichten mir, dass er nach dem letzten Mal sehr gerührt war. Herr Bunte und ich verabschieden uns mit Handschlag.

3. Tag mit Herrn Bunte


Heute geht es ihm nicht so gut. Er will nur im Rollstuhl sitzen. Ich zeige ihm mal den nahegelegenen Edeka Markt. "Vielleicht können wir da mal Kaffeetrinken?" frage ich.

Das wäre für ihn OK. Dann über den Parkplatz und über die Holzbrücke an der Hauptstraße entlang. Er bemerkt die großen Lastzüge auf der Straße. Da fahren echt viele. Ich überlege in meinen Gedanken:

Ob das seine Arbeit war? Lkw beladen? An der Ecke zum Krug Richtung Bäckerei Lose ruft ihn eine Frau aus dem fahrenden Auto zu.

"Hey Hans!" Das ist eine Pflegerin aus dem Heim, erklärt uns eine wartende Fahrradfahrerin. Dann auf den ehemaligen Dorfkrug-Parkplatz. Hier treffen wir auch noch einige Menschen. Frau Müller, die Bürgerbus Fahrerin. Frau Ehrenhorst und Frau Beck kümmern sich um den Garten. Im Werkstatt-Gebäude probt die Band. Ein Junge lernt Schlagzeug. Wir schauen durch die offene Tür. Sprechen kurz mit dem dunkelhäutigen Lehrer. Dann schiebe ich ihn wieder zurück. Er merkt, dass es für mich anstrengend sein muss. Es ist sehr warm und schwül. Gibt bestimmt noch Gewitter. Noch rückwärts über die Granitpflasterstraße. Geschafft. Er sagt, " Ich bin, glaube ich, genauso nass geschwitzt wie sie". Wir setzen uns noch 10 Minuten hin.

Ausruhen! Er hat schon etwas Angst um sein Leben, wenn wir so mit dem Rollstuhl durchs Dorf fahren. Heißt aber nicht, dass es nicht geht. Er schmunzelt dabei. Ein Wolfgang war sein Chef. Heute hat er wohl seinen Neffen erwartet. Der kommt aber nächste Woche und holt ihn zu seinem Geburtstag ab. Das war es für heute.

Ich schiebe ihn vor die Tür und wir verabschieden uns. Bis nächste Woche.



4. Tag mit Herrn Bunte:

Heute werde ich schon beim Kommen von einer Mitarbeiterin an den Geburtstag von Herrn Bunte erinnert. Er hatte wirklich Geburtstag. Seine Aussage beim letzten Mal war also richtig. Ich gratuliere ihm und er lächelt. Da ich einen anstrengenden Tag hatte, fahren wir nur unter das nahegelegene Vordach. Im Schatten ist es sehr angenehm. Erst einmal muss er von seiner gestrigen Feier berichten. Sein Neffe Claudio hatte ihn zu sich geholt. Seine Schwester war auch da und hat Würstchen gemacht. Sie haben scheinbar einiges über die Familien Verhältnisse beredet, was er aber nicht mehr zusammenbringt.

Ich frage ihn, ob er mir auch einmal eine Frage stellen will. Er verneint. Also erzähle ich ungefragt von meiner heutigen Arbeit.

Er sitzt in seinem Rollstuhl und schaut auf das Heim. Das gefällt ihm. Diesen Blick hatte er noch gar nicht. Er bemerkt einen Bewohner auf einem Liegestuhl.

Fragt, "Was sind das denn für Rohre, die da aus der Erde kommen?

"Sind das Wasserstandsanzeiger?"

"Nein, es sind Außenleuchten." Ich merke, dass er das Haus, was ja jetzt sein neues Zuhause sein sollte, noch gar nicht gut kennt. Da ich nun etwas ausgeruhter bin, schiebe ich ihn noch auf und ab am Haus entlang. Leider gibt es keinen Weg um das gesamte Anwesen herum. Wir bleiben immer wieder stehen und ich weise auf ein paar Details hin, die mir auffallen.

Z.B. fallen uns beiden die grünen Kunststofftüten um frisch gepflanzte kleine Eichenbäume auf.

"Was haben die für einen Zweck?"

Das interessiert uns beide so sehr, dass ich schließlich den rasenmähenden Gärtner frage.

"Die sind zur Bewässerung", kommt die prompte Antwort.

Spannend.

Dann bringe ich ihn zurück zur Tür. Ich würde gern mal wissen, wo sein Zimmer in etwa liegt. Da er es nicht weiß, hat er jetzt eine Hausaufgabe mitbekommen.

In einer Woche gibt's die Antwort.



5. Tag mit Herrn Bunte

Er wartet schon auf mich. Heute hat er kein Bingo gespielt. Seinen Zustand beschreibt er wie letztes Mal. Ich fühle mich ganz fit und so schieben wir los. Diesmal in Richtung Osten. Da die Fußwege im Dorf teilweise sehr uneben sind, entscheide ich mich für die hier glattere Straße. Das ist angenehmer für Herrn Bunte und leichter für mich. Wir kommen am Friedhof vorbei.

"Hier will ich nicht irgendwann liegen", höre ich aus seinem Munde. Weiter geht es einen Berg hinauf. Das Dorf hat durchaus Hügel. Er hat wieder Mitleid mit mir. "Ist das nicht zu schwer?"

"Und den Weg müssen wir auch noch wieder zurück." Bei einem Haus können wir eine Gartenbaustelle miterleben. Durchaus große Maschinen laden Sand auf.

Wir fahren vorbei. An der Bahn entscheiden wir uns umzudrehen. Das ist schon fast am Dorfende. So können wir aus sicherer Entfernung das Treiben auf der Baustelle beobachten. Beim Vorbeifahren spricht er sogar den Bauherren an. Der gibt bereitwillig Auskunft. Wieder an der Kreuzung am Friedhof fahren wir rechts am eigentlichen Friedhofseingang vorbei zur Bahn. Hier soll ein Bahn-Halt gebaut werden. Am Bahnübergang bekommt er Angst. Ich bleibe vor den Schienen stehen. Können wir überhaupt noch zurück? Natürlich. Ich drehe um und wir machen uns auf den Rückweg. Einmal rechts und schon bald ist die Auffahrt zum "Hotel" erreicht. "Hier bin ich mal rumgelaufen als ich weglaufen wollte", sagt er plötzlich.

Wahrscheinlich hat er sich an etwas erinnert. Echt gut. Vor dem Eingang ermutige ich ihn aufzustehen. Er geht dann mit dem Stock ein paar Schritte zur Tür. Die Pflegerin öffnet und er geht hinein. Ich schiebe den Stuhl hinterher. "Komm wir trinken noch etwas." "Sie müssen durstig sein." Ich lehne ab, bedanke mich trotzdem. Die Pflegerin bekommt zu hören, was wir eben erlebt haben, das reicht für mehrere Tage. Das finde ich auch. Bis nächste Woche.


Übrigens, wo sein Zimmer ist, konnte er mir nicht so genau sagen.

Scheinbar links und im 1. Obergeschoss.

Mal sehen, ob das stimmt.



6. Tag mit Herrn Bunte

Heute einigen wir uns erst mal auf das Du. Dann brechen Hans und ich zu einer weiteren Tour durch das Dorf auf. "Heute zeige ich dir mal meine Arbeitsstelle." Dazu müssen wir den Ort von Norden nach Süden durchqueren. Das gelingt ganz gut, weil wir fast ausschließlich die Straßen mit einem glatten Belag nutzen. Die Fußwege meiden wir. Die sind wirklich zu uneben. An einem Fachwerkhaus bleiben wir stehen, weil mich der Spruch über dem Torbogen interessiert. Ich lese ihm den Vers aus einem Psalm vor. Die zweite Hälfte spricht mit. Er kennt ihn. Von früher im Unterricht mit dem Pastoren. Am Ziel angekommen, kommt uns erst mal ein Kollege von mir im Auto entgegen. Er muss warten, weil ein Auto entgegen kommt und wir auf der Straße fahren. Als er seine Fahrt fortsetzt, grüßen wir uns alle freundlich.

Ich bin nicht sicher, ob er mich erkannt hat. Vielleicht hat er mich ja auch als "Alt-Zivi" eingeordnet. Ich zeige Hans alles, was wir von der Straße aus sehen können.

Dann machen wir uns auf den Rückweg. Am kleinen Baumarkt vorbei. Da war früher ein Einkaufsmarkt.

"Ja" meint Hans, "der war zu klein und deshalb wurde ein Größerer gebaut."

Er weiß das, weil seine Schwester hier früher wohnte. Quasi gegenüber - das hat er sofort erkannt. Uns überholt ein Auto.

"Oh, das ist der alte Besitzer von der Tankstelle", bemerke ich.

"Den kenne ich", meint Hans, "der war mit mir auf der Berufsschule." Stimmt das?, denke ich. Dem gehen wir nach!, entscheide ich bei mir.

Fahren zur Tanke und fragen nach dem Senior. Erst den Sohn, dann den Enkel und als letztes die Kassiererin. Keiner hat ihn gesehen. Komisch, wo ist er denn? "So, eine Idee habe ich noch."

"Das ist der letzte Versuch."

"Wenn er da nicht ist, rollen wir weiter."

Ich kenne die Werkstatt, weil ich dort langjähriger Kunde bin. Und richtig. Ich sehe den ehemaligen Chef hinter einem kleinen Fenster, klopfe und er öffnet die Tür. "Ich habe hier einen Hans Bunte."

"Der behauptet, dass er mit dir zur Berufsschule gegangen ist." "Äh ja, das kann sein." denkt der Senior laut. Wir gehen zum Mann im Rollstuhl. Und sie erkennen sich, begrüßen sich mit dem "Corona-Faustgruß". Dann gibt es einen regen Austausch. Jetzt weiß ich endlich wo Hans gearbeitet hat und ich kenne die fast 100 jährige Geschichte des Familienbetriebs der heutigen Tankstelle. Dann verabschieden wir uns, begeistert über das Zusammentreffen. Jetzt wird es auch Zeit, wieder zurückzugehen.

"Nicht das wir noch nass werden, denn der Himmel verdunkelt sich", bemerkt Hans. Ich gebe Gas und schon bald stehen wir vor der Tür. Wir sind beide irgendwie aufgedreht und können es kaum glauben, was wir heute schon wieder alles erlebt haben.

Bis nächste Woche.



In diesem Sinne wünsche ich dir erfüllte Hobbys.

Ingo



Auf ein, aus meiner Sicht, passendes Bibelzitat möchte ich noch hinweisen.

Lasst uns also nicht müde werden, Gutes zu tun. Es wird eine Zeit kommen, in der wir eine reiche Ernte einbringen. Wir dürfen nur nicht vorher aufgeben! Solange uns noch Zeit bleibt, wollen wir allen Menschen Gutes tun, vor allem aber denen, die mit uns an Jesus Christus glauben. (Galater 6, 9+10)

Dieses Bibelzitat ist wie gewohnt aus der Übersetzung Hoffnung für Alle® (HFA)


Das oben genannte Feature kann hier nachgehört werden.


Das Bibelzitat im Text oben ist heute ausnahmsweise aus meiner alten Bibel, der Elberfelder Übersetzung. Mir gefiel das Wort besuchen hier so gut.

In meiner aktuellen Übersetzung steht hier helfen.


Ingo Tauchert


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