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Alles relativ?

Gibt es Absolutheit? Absolute Richtigkeit? Absolute Wahrheit? Ich behaupte: Ja! Und hier ist der Beweis: Es wird absolut unmöglich sein, diese Fragen für alle zufriedenstellend im Rahmen dieses Beitrags zu klären. 😉


Trotzdem sind es Fragen, die mich in letzter Zeit mal wieder bewegt haben. Alles hat damit begonnen, dass ich im Rahmen eines Bibelleseplans an Jeremia Kapitel 28 vorbeigekommen bin. Die Handlung des Kapitels lässt sich kurz zusammenfassen:


Die große Mehrheit Israels befindet sich schon einige Jahre in babylonischer Gefangenschaft. Sie leiden schwer unter der Unterdrückung. Plötzlich taucht ein angeblicher Prophet Gottes namens Hananja auf, der verkündet, die Herrschaft Babylons würde nur noch zwei Jahre andauern. Was für eine überwältigend positive Botschaft! Das macht Jeremia, einen wirklichen Propheten Gottes, stutzig, da er schon lange vergeblich versucht, sein Volk zur Umkehr zu bewegen. Laut Gottes Aussage, können sie nur mit seiner Hilfe der Unterdrückung entkommen. Durch eine Botschaft Gottes kann Jeremia schließlich aufdecken: Was Hananja gesagt hat, war eine Lüge. Alles erfunden. Zur Strafe stirbt Hananja noch im selben Jahr.


Die Begebenheit selbst wirft sicherlich schon einige Fragen auf. Ich bin jedoch an einem Aspekt hängen geblieben, der mit der eigentlichen Handlung nur bedingt zu tun hat. Mich hat verwundert, mit welchen Worten Hananja die vermeintliche Freudenbotschaft verkündet:

"So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Ich zerbreche das Joch des Königs von Babel. Nach zwei Jahren bringe ich alle Geräte des Hauses des HERRN an diesen Ort zurück, die Nebukadnezar, der König von Babel, von diesem Ort weggenommen und nach Babel gebracht hat." (Jeremia 28,2-3)

Das Joch Babels soll zerbrochen werden und die Weggeführten sollen zurückkehren – das ist zu diesem Zeitpunkt ganz gewiss genau die Botschaft, die das Volk Israel hören will. Aber es ist nur ein Teil der angeblichen Prophetie. Hananja betont weiter, dass dabei „die Geräte des Hauses des HERNN“ an ihren eigentlichen Platz zurückkehren sollen. Was hat es damit auf sich? Warum hält Hananja ausgerechnet diese Geräte für besonders erwähnenswert? Was an dieser Aussicht macht die Lüge in seinen Augen noch schmackhafter?

Um Licht ins Dunkel zu bringen, hilft es zum Buch Daniel zu springen, wo vom Überfall durch Nebukadnezar und dem Raub der Geräte berichtet wird:

"Im dritten Jahr der Regierung Jojakims, des Königs von Juda, kam Nebukadnezar, der König von Babel, nach Jerusalem und belagerte es. Und der Herr gab Jojakim, den König von Juda, in seine Hand und einen Teil der Geräte des Hauses Gottes. Und er brachte sie ins Land Schinar, in das Haus seines Gottes: die Geräte brachte er in das Schatzhaus seines Gottes." (Daniel 1,1-2)

Dies ist die einzige Erwähnung der Tempelgeräte in den ersten vier Kapiteln des Buchs Daniel. Hiernach scheinen sie erst einmal nicht weiter relevant zu sein. Man kann sich also wieder fragen: Warum werden sie überhaupt erwähnt? Welche Bedeutung haben sie?


Ich habe dazu vor einer Weile eine interessante Interpretation gelesen, die mir sehr logisch schien: Diese Geräte stehen stellvertretend für Nebukadnezars Haltung gegenüber Gott und Israel. Man könnte sogar sagen, stellvertretend für seine Haltung gegenüber allem außerhalb seines Reiches und seiner Herrschaft.


Er nimmt hier wertvolle Gegenstände aus dem Tempel des einzig wahren, heiligen Gottes, die dieser für heilig erklärt hat, und legt sie in die Schatzkammer seines Tempels (oder eines seiner Tempel?) in Babylon. Zum einen macht er sich damit diese Gegenstände Gottes zu eigen, bringt sie an den Ort seiner eigenen Religion und setzt sie damit eigenmächtig in einen neuen Kontext, der ihm vermeintlich besser gefällt. Das allein finde ich schon interessant.


Zum anderen können wir davon ausgehen, dass dies nicht zum ersten Mal passiert. Dort, in seiner Schatzkammer, waren sicher noch allerlei Trophäen anderer Eroberungen zu finden, die alle zusammen die Macht und Herrlichkeit seiner Regentschaft belegten. Vielleicht wurden die diversen Stücke wie in einem Museum hergerichtet und ausgestellt, vielleicht wurden sie aber auch nur planlos jeweils dort in der Schatzkammer abgestellt, wo eben noch Platz war. So oder so landeten die Geräte aus dem Tempel Gottes in der Schatzkammer Nebukadnezars – als einige Schätze unten vielen. Was bedeutet das nun? Ich denke, man kann es so verstehen: Nebukadnezar nimmt hier etwas, was Gott für heilig erklärt hat, und legt es zwischen alles andere. Er nimmt etwas von absolutem Wert und macht es zu etwas von relativem Wert. Er nimmt etwas objektiv Heiliges und macht es zu etwas lediglich subjektiv Heiligem. Er relativiert.


Dieses Konzept wird noch einmal auf die Spitze getrieben, wenn die Tempelgeräte plötzlich in Kapitel fünf von Daniel aus dem Nichts wieder auftauchen und eine zentrale Rolle spielen. Hier ist es Nebukadnezars Sohn Belsazar, der sich über die Schätze aus dem Haus Gottes lustig macht, indem er sie in betrunkenem Zustand zu einem riesigen Saufgelage bringen lässt, um daraus zu trinken und sie damit ein für alle Mal zu entwerten. Dass das zu viel war, wird unmittelbar danach klar, als Gott dies zum Anlass nimmt, den Untergang des babylonischen Reiches einzuleiten.


Das alles geschieht im Kern deshalb, weil Gottes Heiligkeit und sein Absolutheitsanspruch nicht geachtet wurde, die Herrscher Babylons sich nicht unter seine Herrschaft demütigen wollten und das, was er als heilig bestimmt hatte, bis hin zu Hohn und Spott verachtet und damit entweiht und relativiert wurde.

Ich finde das deshalb so nachdenkenswert, weil ich meine, dass etwas sehr Ähnliches heute vielerorts passiert. Die postmoderne bzw. relativistische Skepsis gegenüber Absolutheitsansprüchen findet sich in vielen Teilen unserer Gesellschaft wieder. Alles darf nur subjektiv betrachtet werden. Es gibt keine objektiven, absoluten Wahrheiten. Alle Sichtweisen auf die Welt müssen gleichwertig nebeneinanderstehen, weil niemand sich anmaßen kann, die Welt objektiv zu betrachten (was zu einem gewissen Grad natürlich auch stimmt). Aber da es in den Augen vieler Menschen keinen Gott gibt, gibt es auch niemanden, der über allem steht und so absolute Wahrheit verkünden könnte.


Im Extremfall wird selbst von Atheisten der sonst fast religiös verehrten Wissenschaft die Fähigkeit abgesprochen, wahre Fakten zu produzieren. Wir haben das erst kürzlich im Rahmen der Corona-Pandemie in einer andauernden Auseinandersetzung zwischen wissenschaftlichen Institutionen und diversen Gruppen von Skeptikern sehr plastisch erlebt. Es wurden so viele verschiedene „Fakten“ produziert, dass selbst die reichweitenstarken Medien sich irgendwann nicht mehr einig waren, wessen Beschreibung der Realität denn am Ende stimmt – und ob die Wissenschaft wirklich immer recht hat.


Die zunehmende Komplexität der Welt führt zu immer mehr und weiter verbreiteten Verschwörungstheorien und auch zu immer extremeren Positionen im Allgemeinen. Der mangelnde Überblick über alle Zusammenhänge und die Frage, ob ihn überhaupt noch jemand haben kann, bewegt uns alle. Man spürt ein starkes Bedürfnis nach Halt, nach Wahrheit, nach etwas Absolutem, an dem man sich ausrichten kann.


Bei der Suche nach Halt und Wahrheit entstehen Diskussionen, die sich emotional oft so sehr aufheizen, dass sie in Streit, Hass, psychischer Gewalt (vor allem online) oder sogar in physischer Gewalt und in (ganz realem) Mord enden. Überall stellen wir eine starke Polarisierung fest, die oft auf nichts anderes zurückzuführen ist, als auf die panische Angst der Menschen, dass ihnen das, worauf sie ihr Weltbild aufbauen, genommen wird. Deshalb muss mit aller Gewalt und manchmal sogar wider besseres Wissen die eigene Position gesichert werden, um so den inneren Frieden zu bewahren.


Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Als vermeintlicher Gegenpol zu all den extremen individuellen Ansichten setzt sich gleichzeitig immer öfter der postmoderne und relativistische Gedanke durch, der besagt: Jeder kann die Welt nur durch seine eigenen Augen betrachten, daher kann niemand Absolutheit beanspruchen und jeder Anspruch dieser Art muss folglich als schädlich (da irreführend) betrachtet und bekämpft werden. Natürlich ist diese Ansicht am Ende nicht weniger extrem, sie versteckt sich aber meist im Schafspelz von Respekt, Toleranz und Offenheit und wirkt damit auf den ersten Blick erfrischend anders und verlockend gemäßigt. Wieder muss ich sagen: Ich habe viel Verständnis für diese Sicht. Sie führt aber letztendlich für viele Menschen auch zur Ablehnung des Glaubens an einen Gott, der von sich beansprucht, absolute Wahrheit zu kennen oder sogar zu sein - und hier kann ich nicht mehr mitgehen.


Aber zurück zum eigentlichen Thema: Was hat das nun alles mit den Geräten aus Gottes Tempel vor zweieinhalbtausend Jahren zu tun? Für Israel hatten die Geräte des Tempels offenbar eine stark identitätsstiftend Wirkung. Mit dem Raub dieser Heiligtümer ging auch ein Teil der eigenen Identität verloren. Dies war sehr wahrscheinlich ein bewusster, strategischer Akt Nebukadnezars.


So stark emotional aufgeladenen, wie die Geräte damit waren, wurden sie zum einen von Hananja missbraucht als Objekte der Sehnsucht, um seine Lüge verführerischer zu machen. Zum anderen spielen sie eine zentrale Rolle, als Israel zurückkehrt und der Tempel wieder aufgebaut wird. Hier zeigt sich, wie mit den Geräten ein Großteil der nationalen Identität zurück:

"Da aber unsere Väter den Gott des Himmels zum Zorn reizten, gab er sie in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, des Chaldäers; der zerstörte dieses Haus und führte das Volk nach Babel fort. Doch im ersten Jahr des Kyrus, des Königs von Babel, gab der König Kyrus den Befehl, dieses Haus Gottes ‹wieder› aufzubauen. Und auch die goldenen und silbernen Geräte des Hauses Gottes, die Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem herausgenommen und in den Tempel zu Babel gebracht hatte, die nahm der König Kyrus aus dem Tempel zu Babel heraus. Sie wurden Scheschbazar — so sein Name — übergeben, den er als Verwalter einsetzte. Und er sagte zu ihm: Nimm diese Geräte, ziehe hin, lege sie im Tempel zu Jerusalem nieder! Und das Haus Gottes soll an seiner ‹früheren› Stätte ‹wieder› aufgebaut werden.“ (Esra 5:12-15)

Für Nebudkadnezar waren die Geräte des Tempels lediglich einige Trophäen unter vielen. Er konnte sie nutzen, um Israel bewusst zu unterdrücken, ihren Glauben zu relativieren und sie damit zugänglich zu machen für seine ganz eigenen Ansichten und Werte. Durch die Relativierung ihres Glaubens entzog er Israel einen Großteil ihrer Kraft und ihres Willens. Ich frage mich, ob etwas Ähnliches auch heute passiert.


Worauf will ich also hinaus? Ich glaube an den Gott der Bibel, so wie es auch Israel grundlegend getan hat. Ich glaube nicht nur, dass er existiert, sondern auch, dass er über allen Dingen steht und damit als einziges Wesen im Universum die Misere auflösen kann, die so viele Menschen in die Verzweiflung treibt: Er kann objektive und absolute Wahrheiten über die Welt mit uns teilen.


Damit stelle ich mir jedoch auch die Frage: Was sind für Gott (und damit für mich als Gläubigen) Dinge oder Werte von absoluter, objektiver Wahrheit und Heiligkeit? Wie unterscheide ich Prinzipien und Werte, die für Gott heilig sind, von solchen, die es nicht sind? Kann ich die Unterschiede sicher durch die Bibel erkennen, oder ist auch mein Bibellesen der Ungewissheit meiner eigenen, ganz speziellen Brille unterworfen, durch die ich lese? Kann überhaupt irgendjemand behaupten, absolute Wahrheiten aus der Bibel zu erkennen? Und ist mein Zweifeln an dieser Möglichkeit vielleicht schon ein Ausdruck davon, dass mich die postmoderne Welt fest in der Hand hat?


Weiterführend stellen sich mir ganz praktische Fragen: Wenn es absolute Wahrheiten und Werte gibt, wie sollten sie dann mein Leben und meine Haltung zu aktuellen Ereignissen und Diskussionen beeinflussen? Von welchen Ansichten sollte ich kein Stück abrücken, weil sie für Gott nur so und nicht anders richtig sind. Worüber kann ich diskutieren, weil es jenseits dieses Absolutheitsanspruchs liegt? Bei welchen Themen habe ich mich ohne es zu merken vielleicht schon von dem relativen Denken der Welt beeinflussen lassen ohne es zu merken und sollte konsequenter sein? Und bei welchen Ansichten oder Werten habe ich mir vielleicht von anderen Gläubigen einreden lassen, dass es sich um nicht-diskutable Wahrheiten handelt, obwohl sie von Gott mitunter gar nicht als solche betrachtet werden?

Das alles sind Fragen, die mich aktuell bewegen. Und mit diesen Fragen entlasse ich auch euch jetzt in die neue Woche. Was sind für euch absolute Wahrheiten? Gibt es sie? Wenn ihr ein wenig drüber nachgedacht habt, würde ich mich freuen, in den Kommentaren davon zu lesen, welche Themen euch momentan bewegen und was für Gedanken ihr jeweils dazu habt! 😊



Gottes Segen und bis zum nächsten Mal!

Euer Daniel


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