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  • AutorenbildPeter

Alles kann raus!

Unser Umzugstermin nach Braunschweig rückt unaufhaltsam näher. Der Termin steht jetzt fest, das Umzugsunternehmen ist beauftragt. In der nächsten Woche werden die vom Umzugsunternehmen geschätzten 100 Umzugskartons geliefert, die wir brauchen, um alles, was mit soll, zu verpacken.


Schon seit einigen Wochen haben wir angefangen, Dinge auszusortieren, die wir wohl nicht mehr benötigen. Schließlich werden wir uns ja auf ca. die halbe Wohnfläche verkleinern. Vieles wurde bereits über die Plattform „Kleinanzeigen“ verkauft oder verschenkt. In der vorletzten Woche war dann mein Arbeitszimmer an der Reihe, und hier insbesondere mein Bücherregal!


Es ist schon erstaunlich, was sich da in den letzten 30 Jahren so angesammelt hat. Noch erstaunlicher war allerdings für mich, wie wenig Wesentliches nach meiner Durchsicht und dem Aussortieren übrig geblieben ist. Da gab es unzählige Bücher zu Themen wie Zeitmanagement, Selbstmanagement, Lebensmanagement, vieles davon aus christlicher Sicht. Das ist jetzt alles weg! Ich brauch‘ das alles nicht mehr, weil es für mein jetziges und zukünftiges Leben tatsächlich keinerlei Bedeutung mehr hat.



Zeitprobleme, Notwendigkeiten, Fremdbestimmungen, Rollen, die ausgefüllt sein wollen, das alles tausche ich gerade in meinem neuen Rentnerdasein gegen Gelassenheit und innere Ruhe, nach dem Motto: „Alles kann, nichts muss! Wenn nicht heute, dann vielleicht nächste Woche.“ Einfach herrlich!


Als ich so vor dem Berg aussortierter Bücher stand, kam mit der Post das neue Heft „Faszination Bibel“ ins Haus, das ich abonniert habe (und auch weiter abonnieren werde). In diesem Heft gibt es einen sehr schönen Artikel, der so wunderbar genau zu der gerade gemachten Erfahrung mit meinem Bücherregal passt, als sollte es so sein. Der Titel dieses Artikels ist: „Versöhnt mit dem Leben, wenn der Glanz verschwindet – Über Reifungsstufen des Glaubens“. Der Autor Albert Frey nimmt darin Bezug auf die drei Generationen, die Johannes in seinem ersten Brief direkt anspricht:

"Ich schreibe euch, Kinder, weil euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. Ich schreibe euch, Väter, weil ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch, ihr jungen Männer, weil ihr den Bösen überwunden habt. Ich habe euch geschrieben, Kinder, weil ihr den Vater erkannt habt. Ich habe euch, Väter, geschrieben, weil ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist. Ich habe euch, ihr jungen Männer, geschrieben, weil ihr stark seid und das Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen überwunden habt." (1. Johannes 2,12-14)

Ich will hier gar nicht im Detail auf das eingehen, was Johannes diesen drei Generationen schreibt. Interessant ist einfach, wie die angesprochenen „Kinder“, „jungen Männer“ und „Väter“ nicht nur für drei Lebensabschnitte, sondern auch für Phasen des eigenen Glaubenslebens stehen. Genau das konnte ich so schön an meinem Bücherregal nachvollziehen.


Da gab es zum Beispiel noch ein altes Heft „First Principles Biblemarking“. Das passt in die „Kinder“-Zeit meines Glaubens. Ich denke, „Kinder“ meint hier auch eher Jugendliche oder junge Erwachsene, ebenso wie Menschen, die noch jung im Glauben sind. Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge, die erste Zeit nach meiner Taufe im Alter von nicht ganz 17 Jahren. Ich war total euphorisch und musste jedem von meinem Glauben erzählen (ob er wollte oder nicht). Da war das Leben noch geprägt von viel (vermeintlich) fester Meinung, aber wenig Erkenntnis. Es gab eine einfache Sicht auf die Dinge des Lebens. WAHR oder FALSCH, SCHWARZ oder WEISS, Zwischentöne – Fehlanzeige. Biblemarking war hoch im Kurs. Einfache Wahrheiten, sauber notiert und farbig hinterlegt. So wurden die neuen Erkenntnisse gleich in meiner Bibel „festgenagelt“.


Wie sich der Glaube und damit auch solche „festgeschriebenen“ Notizen und Auslegungen im Laufe der Zeit verändern, konnte ich vor einigen Jahren feststellen. Krankheitsbedingt hatte ich eine erzwungene Auszeit von 3 Monaten. In dieser Zeit kaufte ich eine neue Studienbibel mit Schreibrand und setzte mich regelmäßig mit alter und neuer Bibel hin, um alles zu übertragen. Maßgebend war für mich dabei, nur solche Notizen zu übertragen, die ich auch jetzt noch verstehen und nachvollziehen konnte und weiterhin für richtig hielt. Und siehe da – ähnlich wie jetzt bei meinem Bücherregal – es blieb nur wenig übrig, was für mich weiter Gültigkeit und Wichtigkeit behielt.


Das Leben als Jugendlicher war (im Rückblick) noch vergleichsweise „unkomplex“. Wenig eigene Verantwortung. Das Elternhaus als sicherer Hafen. Ich konnte mich unbeschwert ausschließlich um mein eigenes Leben kümmern. Aber so blieb es natürlich nicht.


Die von Johannes als „junge Männer“ angesprochenen sind wohl zu vergleichen mit der beginnenden Selbstständigkeit als erwachsener Mensch und schließen die ganze Phase des immer komplexer werdenden Lebens (auch Glaubenslebens) ein, vermutlich bis zum Ende des Arbeitslebens. Eben die Phase, von der mein Bücherregal so voll war.


Mit dem Auszug von zuhause am Studienanfang begann auch für mich das tatsächlich eigenverantwortliche Leben. Eigene Wohnung, eigenes Auto, eigene Krankenversicherung, das Geld musste reichen. Von da an hat das Leben stetig an Komplexität zugenommen. Beziehungen, Abhängigkeiten, Notwendigkeiten, Verantwortungen wurden immer mehr. Ehepartnerin, Kinder, Kollegen, Arbeitgeber, Gemeinde, Sportverein. Alles wollte zur selben Zeit bedacht, gepflegt, gemanagt sein. Schon allein dieses Zeitproblem, alles unter einen Hut zu bekommen, funktionierte bald nicht mehr ohne Kompromisse. Und so wurden auch aus dem einfachen schwarz/weiß der Jugend immer mehr Grautöne.


Wesentlich für diese Lebensphase ist sicherlich das Berufsleben. Sich entwickeln, Erfahrung sammeln, einen guten Job machen, gut dienen. Das waren meine Triebfedern in diesem Bereich. Ganz nach biblischer Maßgabe:

"Ihr Sklaven, gehorcht in allem euren irdischen Herren, nicht in Augendienerei, als Menschengefällige, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend! Was ihr auch tut, arbeitet von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn als Vergeltung das Erbe empfangen werdet; ihr dient dem Herrn Christus." (Kolosser 3,22-24)

Damit wurde auch das Glaubensleben komplexer. Das Verständnis der eigenen Gottesbeziehung wuchs mit den zunehmenden Verantwortungen. Zunächst für den Partner, mit dem man eine lebenslange Bindung eingeht. Tiefer wurde das Verständnis für Gott als liebenden Vater dann natürlich durch die eigenen Kinder. Sorge um die Kleinen, liebevolle richtunggebende Zurechtweisung, Erziehung zu selbstständigen Persönlichkeiten. Erst dadurch habe ich besser verstanden, was Vater sein auch für Gott in seiner Beziehung zu mir bedeutet.


Da zwangsläufig mit der Komplexität auch die eigenen Fehler zunahmen, wurden biblische Begriffe wie Vergebung und Gnade erst richtig mit Leben gefüllt. Auch das Leben mit den Geschwistern in der Gemeinde wurde komplexer. Viele schlechte Dinge, die uns im Alltag begegnen, machen leider auch vor der Gemeinde nicht halt. Das war für mich oftmals ein schwieriger Lernprozess und eine schmerzliche Erfahrung.


Die richtige Balance zwischen all diesen Komplexitäten zu finden, dazu waren für mich offenbar all die vielen „Ratgeber“ in meinem Bücherregal irgendwann tatsächlich hilfreich. So, wie es der dänische Philosoph Kierkegaard ausgedrückt hat:

"Das Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden."

Im Rückblick stellt sich dann - wie die vielen jetzt unnützen Bücher - heraus, dass vieles von dem, was mir so wichtig und wesentlich schien, doch nur „ein Haschen nach Wind“ war, wie es der Prediger sagt.


Jetzt bin ich in der Lebens- und Glaubensphase angekommen, die Johannes als die „Väter“ anspricht. Hier sind vielleicht auch eher die Großväter gemeint. Das Schöne an dieser Phase ist, dass die Komplexität des Lebens wieder sehr deutlich spürbar abnimmt. Außerdem betrachte ich es als großes Geschenk, die Zeit zu haben, mit Muße auf das bisherige Leben zurückblicken zu dürfen und durch solche Erfahrungen wie die Entrümpelung meines Regals und den zeitgleichen schönen Artikel in der Zeitschrift die Nähe unseres himmlischen Vaters zu spüren. Das gibt mir die Gelassenheit, das Leben auch noch weiter um Unnötiges zu erleichtern. Heute erlaube ich mir, nicht zu allen Themen des Glaubens eine Meinung haben zu müssen und mein Verhältnis zu anderen Christen ist auch wesentlich entspannter geworden.


Durch den Rückblick auf das eigene Leben und die Phasen meines Glaubenslebens prägt jetzt auch zunehmend eine entspannte „Altersmilde“ den Blick auf die anderen Generationen.


Und so freue ich mich jetzt, gemeinsam mit meiner Frau das Leben weiter nach vorne zu leben in einen neuen Abschnitt hinein, an einem neuen Ort mit neuen Erlebnissen und Erfahrungen. Ganz so, wie es ebenfalls der Prediger sagt:

"Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines flüchtigen Lebens, die er dir unter der Sonne geschenkt hat. Das ist dein Lohn für die Mühsal und Arbeit unter der Sonne." (Prediger 9,9).

 

Hallelujah! (Gelobt sei Jahweh, unser Gott)

Euer Peter


Foto von Shiromani Kant auf unsplash

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