Mir fällt es oft sehr schwer, Wut oder Ärger bewusst wahrzunehmen. Oftmals schlucke ich diese Gefühle hinunter oder verdränge sie, weil ich Angst davor habe, dass es vor Gott falsch ist, wütend zu sein und andere mit meiner negativen Stimmung zu belasten oder zu verletzen.
Doch ich sage euch: Schon wer auf seinen Mitmenschen zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu ihm sagt: ›Du Schwachkopf!‹, der gehört vor den Hohen Rat, und wer ihn verflucht, der verdient es, ins Feuer der Hölle geworfen zu werden. (Matthäus 5,22)
So habe ich mit Wut und wütend sein bis vor Kurzem eigentlich nur negative Begriffe wie beispielsweise Aggression, Zerstörung, Hilflosigkeit, Rache, Hass oder Verletzung assoziiert.
Ich bin überzeugt davon, dass ich schnell vergeben und die Menschen nicht verurteilen und bestrafen soll, wenn ich wütend auf sie bin. Denn die Verurteilung, Bestrafung und Zerstörung liegt in Gottes Verantwortung, nicht in meiner (dafür bin ich auch manchmal sehr dankbar):
Wenn ihr zornig seid, dann ladet nicht Schuld auf euch, indem ihr unversöhnlich bleibt. Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr einander vergeben habt. (Epheser 4,26)
Liebe Freunde, verschafft euch nicht selbst Recht. Überlasst vielmehr Gott das Urteil, denn er hat ja in der Heiligen Schrift gesagt: »Es ist meine Sache, Rache zu üben. Ich, der Herr, werde ihnen alles vergelten.« Handelt so, wie es die Heilige Schrift von euch verlangt: »Wenn dein Feind hungrig ist, dann gib ihm zu essen; ist er durstig, gib ihm zu trinken. So wirst du ihn beschämen.« Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute. (Römer 12, 19-21)
Als seine Jünger Jakobus und Johannes das hörten, sagten sie: »Herr, das brauchst du dir doch nicht gefallen zu lassen! Sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet, so wie es damals bei Elia war?« Jesus drehte sich zu ihnen um und wies sie scharf zurecht. Dann gingen sie in ein anderes Dorf. (Lukas 9, 54-56)
In meinen Ohren klingt also immer: „Sei nicht zornig!“, „Besiege das Böse durch das Gute!“ – übersetzt für mich: „Reg dich nicht auf, sei sanftmütig!“.
Erst im letzten Jahr ist mir bewusst geworden, wie sehr ich eigentlich darunter leide, dieses Gefühl zu unterdrücken oder es überhaupt wahrzunehmen. Die Bedürfnisse, die hinter diesem Gefühl standen habe ich also überhaupt nicht hinterfragt. Ich wurde zum Meister der Verdrängung vermeintlich negativer Gefühle. Mein Körper reagierte darauf mit chronischen Kopfschmerzen und sehr häufigen Infekten. Ich fing an zu leiden und spürte zunehmend eine innere Unzufriedenheit.
Umbruch
So angespannt wollte ich natürlich nicht weiterleben, also bin ich jetzt dabei zu lernen, dass alle Gefühle wichtig sind und dass sie mir wichtige Bedürfnisse mitteilen, die ausgedrückt werden wollen und müssen! Und trotzdem ist da dieser innere Konflikt, den ich überwinden muss. Auf der einen Seite der Glaube, dass es „falsch“ ist wütend zu sein und auf der anderen Seite das große Bedürfnis, diese Gefühle zu zeigen und mich mitzuteilen.
Also entschied ich mich dafür – wenn auch mit einem etwas schlechten Gewissen – dass es mir gut tut die Wut zuzulassen und diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, zum Beispiel durch Spazierengehen, Meditation, Yoga oder mit guten Freunden darüber zu sprechen oder aufzuschreiben, was mich wütend macht.
Am schwierigsten ist es für mich, diese Bedürfnisse, die hinter meiner Wut stehen, meinen Mitmenschen mitzuteilen. Umso wichtiger mir die Person ist, desto schwerer fällt mir das. Es passiert häufig, dass ich anfange zu weinen, einfach aus Hilflosigkeit oder Resignation, weil ich nicht weiß wie ich meine Erwartungen oder Bedürfnisse äußern soll ohne den anderen zu verletzen, somit zu verärgern und dann zu verlieren.
Die Lösung
Was würde Jesus tun?
Im neuen Testament gibt es zahlreiche Stellen in denen wir lesen können, wie Jesus sich gegenüber seinen Jüngern und Mitmenschen verhält. Er ist der kongruenteste* (ich liebe dieses Wort einfach!) Mensch, den ich kenne.
Jesus ist authentisch, ehrlich und direkt. Er spricht immer angemessen und wird auch mal lauter, wenn es sein muss.
Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus, stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenverkäufer um und rief ihnen zu: »Ihr wisst doch, was Gott in der Heiligen Schrift sagt: ›Mein Haus soll ein Ort des Gebets sein‹, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus!« Noch während Jesus im Tempel war, kamen Blinde und Gelähmte zu ihm, und er heilte sie. (Matthäus 21,12-14)
Es ist interessant zu sehen, dass Jesus sich sehr gut unter Kontrolle hat. Er zeigt sein Unbehagen, macht laut auf das Problem aufmerksam und handelt. Danach beruhigt er sich wieder und bleibt sogar im Tempel um zu heilen.
Es ist also sehr sinnvoll, wenn ich die Probleme anspreche, die mich stören und meine Erwartungen mitteile. Weiterhin kann ich so meine persönlichen Grenzen aufzeigen, um mich selbst zu schützen. Das ist ein wichtiger Teil der Selbstfürsorge.
Das „Wütend-sein“ ist in erster Linie also nicht destruktiv sondern konstruktiv. Es kommt darauf an, wie ich dieses Wutgefühl auf eine positive Art und Weise nutzen kann.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sich viel gesünder anfühlt, meinem Gegenüber meine Bedürfnisse und Gefühle mitzuteilen und somit authentisch und ehrlich mit der Wut umzugehen. Es wird mir zunehmend wichtiger anzusprechen, was mir nicht passt, wenn es sein muss auch laut, aber nicht beleidigend. Jesus ist dafür das perfekte Vorbild und ich bin froh, dass ich mich an ihm orientieren kann.
Und zum Abschluss:
Es gibt keine richtigen oder falschen Gefühle. Alle haben eine Daseinsberechtigung und wollen uns etwas mitteilen. Wir müssen nur hinhören. Sogar Gott hat all diese Gefühle, nur weiß er ganz genau, wie er mit ihnen umgehen muss. Wenn Gott zornig ist, heißt das nicht, dass er uns nicht liebt. Denn gerade weil er zornig sein kann, können wir erkennen, wie wichtig wir Menschen ihm sind. Ohne diese Gefühle wäre Gott total unnahbar und gleichgültig.
Und mal ehrlich: ohne Liebe, Trauer, Wut, Freude und die ganzen anderen Gefühle wäre das Leben doch total langweilig.
In diesem Sinne, lasst euren Gefühlen freien Lauf und teilt sie mit!
Eure Freya
Rise up and shine!
* Kongruenz: die verbale und nonverbale Kommunikation stimmen überein. Anders ausgedrückt: die Mimik. Gestik, das Verhalten und die Sprache ergeben gemeinsam ein stimmiges Bild und wirken zusammen authentisch.
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