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AutorenbildDaniel

Die Wurzel allen Übels

In einem Großkonzern zu arbeiten, hat seine guten und seine schlechten Seiten. Manchmal fällt es einem leider ziemlich schwer, die Guten nicht aus dem Blick zu verlieren. Wer selbst in einem Konzern arbeitet, jemanden kennt, der in einem Konzern arbeitet, oder auch nur schon einmal davon gehört hat, wie es in einem Konzern zugeht, der weiß, dass es vor allem zwei Dinge gibt, die einen Konzern auszeichnen: Sperrige Prozesse mit zu vielen Personen, die für jede Kleinigkeit involviert werden müssen, und zu viele Mitarbeiter, die für zu wenig Arbeit zu viel Geld bekommen. So ist das auch bei uns, mit dem kleinen Unterschied, dass meine Firma „erst“ seit fünf Jahren zum Konzern gehört und es leider (leider, leider) seither einfach organisatorisch noch nicht möglich war, uns an den „zu viel Geld“-Teil des Konzerns anzugleichen. Auch der „zu wenig Arbeit“-Teil ist bei uns noch nicht so richtig angekommen …

 

Ich habe damals angefangen in einer mittelständischen Firma, die trotz ihrer geringen Größe und dank der motivierten Mitarbeiter und deren Innovationskraft ganz oben auf dem Weltmarkt mitmischen konnte. Da hat es Spaß gemacht, sich mit Elan einzubringen, weil man ziemlich unmittelbar sehen konnte, wie genau dieser Elan (aus allen Abteilungen) für den Erfolg sorgte. Heute bewege ich mich in einer klitzekleinen Ecke eines Weltkonzerns, laufe mit meinem Team regelmäßig vor bürokratische Mauern, die es schwer möglich machen, weiterhin mit Energie Dinge innovativ voranzutreiben. Und als Dank für die Motivation und das Engagement, die für uns immer noch irgendwie selbstverständlich sind, werden wir auch noch weitaus schlechter bezahlt als die Kollegen, die sich schon seit 10, 20 oder 30 Jahren an das gemütliche und gemächliche Leben im wohligen Nest des Großkonzerns angepasst haben. Da kommt es schon mal vor, dass man so bei sich denkt: Entweder ich schalte jetzt auch zwei Gänge runter oder ich hätte gerne wenigstens die monetäre Anerkennung für mein Engagement.

 

Und dann ist da noch die Tatsache, dass ich mit meiner Rolle ganz unten im Organigramm zu finden bin – da, wo man erst mal eine Weile hin scrollen muss. Da, wo die eigentliche Arbeit gemacht wird. Es ist nicht so, dass ich keine Verantwortung zu tragen hätte oder dass meine Arbeit global unbeachtet bliebe – eher im Gegenteil. Es ist nur so, dass es in einem Großkonzern sehr viele Manager gibt. Und dann gibt es Manager für diese Manager. Und dann gibt es Manager, die diese Manager managen. Und natürlich müssen auch die von irgendwem gemanaged werden.

 

Und so entstehen sehr, sehr viele Ebenen in so einem großen Organigramm und ganz weit unten gibt es dann noch Leute wie mich und meine Teamkollegen, die tatsächlich produktiv arbeiten und nicht nur Termine für andere hin und her schieben oder halb-informierte Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen dann die ausbaden, die die Sachlage wirklich gekannt hätten. Und alles umspannt zudem dieses Netz aus Prozessen, die nach Jahren der Diskussion in hochbezahlten Managementrunden jetzt gerade endlich irgendwie laufen und nicht von guten Ideen oder Verbesserungsvorschlägen gestört werden dürfen.

 

Das klingt jetzt natürlich übermäßig negativ. Eigentlich macht mein Job mir ja Spaß. Lediglich Mitdenken, motiviert sein, innovativ sein, Dinge ausprobieren – das ist im großen Prozess irgendwie nicht richtig vorgesehen. Und wird auch dementsprechend nicht entlohnt. Nicht falsch verstehen: Natürlich ist das alles trotzdem gern gesehen. Nur: „Comparison is the thief of joy!“ Und so schwindet die Freude mit der Zeit, wenn man selbst versucht, Engagement zu zeigen, während andere sich für deutlich mehr Geld in der gleichen Position aber an einem anderen Standort viel behäbiger bewegen – perfekt angepasst wie Darwins Finken an das Ökosystem Konzern. Wie ein Kunde neulich in einem Forum schrieb: Ihr wart mal ein Speedboat. Inzwischen ist daraus irgendwie ein Containerschiff geworden.

 

Wie gesagt: Manchmal fällt es einem schwer, die guten Seiten im Dickicht des Konzernwalds noch zu erspähen. Zum Glück gibt es im Konzern aber auch dafür einen Prozess! Schließlich ist jeder Mitarbeiter wertvoll und dem Konzern ist daran gelegen, dass jeder gefördert wird und sich optimal entwickeln kann. Dafür haben wir seit kurzem ein neues Format – sozusagen das Mitarbeitergespräch 2.0, jetzt neu mit coolem englischen Namen (den ich aus Anonymitätsgründen hier mal nicht nenne). Es wird beworben als DAS neue Tool, um allen Mitarbeiter an allen Standorten im selben Rahmen einmal im Jahr die Chance zu geben, Feedback zu geben, solches zu erhalten und ihre zukünftige Entwicklung im Unternehmen mit ihrem Vorgesetzten zu planen. Mein Gespräch ist diesen Monat.

 

Natürlich braucht so ein Mitarbeitergespräch 2.0 eine gute Vorbereitung und so sitze ich seit ein paar Wochen immer mal wieder vor meinem digitalen Fragebogen und versuche neben anderen Kleinigkeiten vor allem die eine zentrale Frage zu beantworten: Was will ich für die Zukunft?

 

Ja, was will ich? Was sind meine Ziele? Wo will ich mich hin entwickeln? Es gab in letzter Zeit nicht wenige Tage (vor allem, wenn ich mal wieder mit bestimmten Kollegen vom Hauptsitz zu tun hatte), da hätte ich gern geschrieben:


  • Ich möchte auch nur noch Visionen entwickeln, die dann andere umsetzen müssen.

  • Ich möchte auch mehr reden und weniger machen.

  • Ich möchte auch in Teamleiterrunden sitzen und Dinge zuerst erfahren, obwohl ich gar kein Team leite aber mich sehr gut selbst verkaufen kann.

  • Ich möchte auch befördert werden, nur weil es halt langsam mal dran ist, und einen Job für mich erfunden bekommen, in dem ich dann genau eine Person unter mir habe, nur damit es auf dem Papier ein Team gibt.

  • Und ich möchte das ganze Geld haben, was bei all dem automatisch immer mitschwingt …

 

Leider muss ich feststellen, dass mich gerade der letzte Punkt mal wieder besonders bewegt. Und das wurmt mich. Ich habe Arbeit, die mir Spaß macht, ich habe ein tolles Team, in dem ich arbeite und in dem wir einen Zusammenhalt und eine Freundschaft pflegen, die weit über das hinaus geht, was für die Arbeit nötig wäre. Abgesehen davon bin ich weitestgehend gesund, habe eine tolle Familie und kann diese Familie mit meinem Teil unseres Haushaltseinkommens mehr als ausreichend versorgen. Wir haben alles, was wir brauchen. Und mehr.

 




Wir konnten sogar vor einiger Zeit den Kaufvertrag für ein Haus unterschreiben, obwohl sowohl meine Frau als auch ich nur Teilzeit arbeiten. Bloß dass mein „Teilzeit“ für den Großteil unseres Konzerns nahezu „Vollzeit“ wäre. Und dann ist da das Wissen, dass selbst wenn ich Vollzeit arbeiten würde, meine Vollzeitarbeit dem Konzern immer noch deutlich weniger wert wäre als die geringere Vollzeit der Kollegen und Kolleginnen, die dasselbe tun wie ich – nur eben woanders, wo man nicht neu ist im Konzern. Warum wurmt mich das so? Ich habe mehr als ich brauche. Ich wäre absolut zufrieden … wäre da nicht der Vergleich mit anderen: Es ginge deutlich mehr, also will ein Teil von mir auch deutlich mehr. Mehr Geld, mehr Macht, mehr von dem, was andere haben und ich nicht.

 

Sollte ich also andere Prioritäten setzen? Sollte ich in meinem bevorstehenden Gespräch auch die Weichen stellen für die große Karriere mit mehr Männerfreundschaften und weniger lästigem produktiven „Kleinkram“? Sollte ich den praktischen und kreativen Job, der mir Spaß macht, eintauschen für mehr Geld und einen Job, in dem ich tagein, tagaus nur noch damit beschäftigt wäre, zu organisieren, dass andere ihre Arbeit machen und die Prozesse einhalten? Sollte ich Teil von dem Wasserkopf an Management werden, von dem ich doch eigentlich überzeugt bin, dass er der ganzen Firma überwiegend schadet, nur um auch ein größeres Stück vom Kuchen abzubekommen? Oder sollte ich vielleicht sogar die ganze Firma und damit auch meine Abteilung, die ich so lieb gewonnen habe, zurücklassen, um irgendwo ganz anders in ein neues Team mit vielleicht deutlich kühlerer Atmosphäre und weniger Miteinander zu wechseln, einfach nur um mehr „Schmerzensgeld“ zu bekommen? Es gibt so viele Dinge, die Arbeit angenehm und attraktiv machen und viele davon erlebe ich dort, wo ich bin … warum überschatten die schnöden Dinge (wie das olle Geld) das alles trotzdem immer wieder in meinem Kopf?

 

Als ich neulich abends mit meiner Frau im Bett lag, ist uns aufgefallen, dass wir schon länger nicht mehr in der Bibel gelesen hatten – weder zusammen, noch alleine. Irgendwie war das im Alltag untergegangen. Sie nahm ihr Smartphone und da wir spontan keine bessere Idee hatten, versuchten wir es mit einem zufälligen Kapitel. Die Bibel-App loste 1. Timotheus 6 für uns aus. Vielleicht ein Beispiel dafür, dass Los nicht immer unbedingt Zufall bedeutet.

„Freilich ist die Ehrfurcht vor Gott ein großer Gewinn, aber nur wenn sie mit persönlicher Genügsamkeit verbunden ist. Was haben wir denn in die Welt mitgebracht? Nichts! Und wir werden auch nichts mitnehmen können, wenn wir sie verlassen. Wenn wir also Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer unbedingt reich werden will, wird sich in einem Netz von Versuchungen verfangen, er wird sich in viele unsinnige und schädliche Begierden stürzen, die den Menschen Unheil bringen und sie völlig zugrunde richten. Denn die Liebe zum Geld ist eine Wurzel für alles Böse. Manche sind ihr so verfallen, dass sie vom Glauben abgeirrt sind und sich selbst die schlimmsten Qualen bereitet haben.“ (1. Timotheus 6,6-10)

Für mich war es ein kleines Wunder, das zu lesen. Es war genau das, was ich hören musste. Es ist nicht so, dass mir diese Gedanken neu gewesen wären, aber es war ungeheuer wertvoll nach langem mal wieder daran erinnert zu werden.

 

Ich gebe offen zu, dass ich ein ziemlich fauler Bibelleser bin – was ich selbst nicht richtig verstehe, denn WENN ich in der Bibel lese, gehe ich in der Regel absolut gestärkt und erleichtert daraus hervor. Und auch dieses Beispiel hat mir mal wieder gezeigt, welche Power das Lesen in der Bibel haben kann. Es ist definitiv etwas Wahres dran an dem Bild vom Glauben als einem Glas Wasser: Wenn man das Glas einfach stehen lässt, wird das Wasser mit der Zeit verdunsten. Das geht nicht schnell und man kann es daher auch nicht direkt sehen. Aber ganz langsam und unbemerkt wird es eben doch weniger und irgendwann wundert man sich, wo das ganze Wasser hin ist. Das Lesen in der Bibel ist für mich eine der besten Möglichkeiten, das Glas wieder aufzufüllen.

 

Wenn ich so darüber nachdenke muss ich feststellen, dass ich recht anfällig dafür bin, mich in „weltlichen“ Gedanken zu verfangen und damit den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. Und das meine ich gar nicht so abstrakt, wie es im ersten Moment klingen mag. Für mich ist mein Glaube wesentlich, weil er mir gut tut und mich erdet. Ich kann durch meinen Glauben meine Perspektive ändern und in Dingen, die mich sonst wahnsinnig umtreiben, plötzlich Ruhe und Gelassenheit finden. Ich muss mich nur auch immer wieder daran erinnern, dass dem so ist. Es sind oft die ganz einfachen Erinnerungen wie „Wir haben nichts in die Welt mitgebracht und werden auch nichts mit hinausnehmen“, die das ganze Gedankenkarussell aus Sorgen, aber auch aus Gier oder Neid ganz abrupt zum Stoppen bringen, weil ich ganz nüchtern sagen muss: Stimmt. Und was mich auch immer wieder fasziniert ist, wie gut doch diese antiken Texte auf meine ganz aktuellen Probleme passen:

„Aber du, als Mann Gottes, hüte dich vor all diesen Dingen. Strebe dagegen nach Gerechtigkeit, Ehrfurcht vor Gott, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Freundlichkeit.“ (1. Timotheus 6,11)

Sind das nicht genau die Dinge, die mich in meinem Job glücklich machen? Gut, Ehrfurcht vor Gott ist jetzt nicht die erste Eigenschaft, die mir in Bezug auf meine Abteilung einfallen würde (obwohl ich dort als Christ auch nicht alleine bin). Aber Gerechtigkeit, Liebe (auf eine Art), Freundlichkeit – das sind genau die Dinge, die mein Team ausmachen und die es so angenehm machen, dort zu arbeiten (und zusammen den ganzen Frust wegzulachen, der manchmal aufkommt). Und genau das sind die Dinge, nach denen ich streben soll … ist das nicht ein zusätzlicher Wink mit dem Zaunpfahl dafür, dass ich dort, wo ich bin, richtig bin und glücklich werden kann?

 

Zu Schluss bringt Paulus dann noch einmal auf den Punkt, was im Leben wirklich wichtig ist – beziehungsweise, warum das Leben heute vielleicht auch gar nicht so wichtig ist:

„Ermahne die, die nach den Maßstäben dieser Welt reich sind, nicht überheblich zu sein und ihre Hoffnung nicht auf den unsicheren Reichtum zu setzen, sondern auf Gott. – Denn Gott gibt uns alles reichlich, und wir dürfen es genießen. – Sie sollen Gutes tun, freigebig sein und bereit, mit anderen zu teilen, also reich in guten Werken sein. So sammeln sie sich eine gute Grundlage für die Zukunft, um das wahre Leben festzuhalten.“ (1. Timotheus 6,17-19)

Ich denke, ich weiß jetzt besser, was ich in den Fragebogen für den neuen Super-Duper-Dialog schreiben will. Ein paar Prioritäten haben sich wieder geradegerückt. Wer weiß, was Gott in Zukunft noch für mich bereithält. Für den Moment habe ich erstmal neue Zufriedenheit gewonnen mit dem, was ich habe. Obendrein bin auch ehrlich gesagt ein Stück weit erleichtert, dass ich mich nach dem kurzen Wachrütteln jetzt nicht mehr so sehr für den steilen Karriereweg mit viel Ellenbogen und selbstverherrlichendem Gelaber und noch mehr „Mammon“ interessiere – eigentlich wäre das nämlich überhaupt nicht ich … höchstens ein kleiner Teil von mir, der jetzt erst mal wieder eine Weile Ruhe gibt. Das fühlt sich sehr befreiend an. Sollen sich doch andere mit dem ganzen Unkraut herumschlagen müssen, was aus der „Wurzel allen Übels“ wächst. Gärtnern war eh noch nie so mein Ding.

 

Gottes Segen und bis zum nächsten Mal!

Euer Daniel


 

Alle Zitate sind der Neuen evangelistischen Übersetzung (NeÜ) entnommen.

 

Foto von Nathan Dumlao auf Unsplash

 

 

2 Kommentare

2 Σχόλια


Πελάτης
26 Σεπ

Lieber Daniel, Danke für Deinen Artikel und wie gut verstehe ich Dich. Auch ich habe lange in einem Großkonzern gearbeitet und kann Deine Aussagen bestätigen. Mir sagte man, ich gehöre eh zum Inventar = noch mehr Arbeit ohne Anerkennung/Wertschätzung. Aber Gott hilft einem immer. LG Anne

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Πελάτης
09 Σεπ

Daniel - vielen Dank!!

Das ist doch ein echtes Wunder mit den Versen aus Timotheus! 😊 Da ist man erst mal überrascht - und es zeigt, wie präsent unser Vater im Himmel ist. Wir sind Ihm nie egal, Er nimmt Teil an unserem Leben - auch in solchen Situationen 😄... Und irgendwie ist es ja auch humorvoll, Dir auf so eine Art zu antworten ...


LG Marco

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